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ALJ 2019 Entlastungswirkung der hypothetischen KausalitÀt 35
gegen den naheliegenden Einwand ab, dass der GeschĂ€digte eine Kompensation fĂŒr einen Scha-
den erhĂ€lt, den er bei rechtmĂ€Ăigem Verhalten ohnehin erlitten hĂ€tte.
Nach einer weitvertretenen Ansicht sei es dem Grundsatz nach nicht zulÀssig, dass dem wirklichen
SchÀdiger ein fiktiv begangenes Unrecht zugutekomme. Es ist von einem offenen Wertungswider-
spruch die Rede, der durch eine Entlastungswirkung mit dem Verweis auf eine bloĂ hypothetische
Verantwortlichkeit eines Dritten entstehen wĂŒrde.113 Nach Gebauer sei es ebenso naheliegend,
eine Entlastung des SchÀdigers, wegen hypothetisch bestehendem Versicherungsschutz anzuneh-
men, wie aufgrund einer angenommenen Verantwortlichkeit eines Dritten. In beiden FĂ€llen dĂŒrfe
es zu keiner Entlastung des realen SchÀdigers kommen.114
Letztlich ist zumindest eine völlige Befreiung des real handelnden ErsttÀters durch eine reine Fik-
tion nur schwer mit der schadenersatzrechtlichen PrÀventionsfunktion in Einklang zu bringen.115
Das Schadenersatzrecht soll einen Anreiz schaffen, SchÀdigungen zu vermeiden und das Verhalten
der Rechtsunterworfenen dahingehend zu steuern, sich an Verhaltensnormen zu halten. Dieses
Ziel wird durch die Anerkennung einer gÀnzlichen Entlastungswirkung durch erdachte Handlungen
Dritter nicht optimal erreicht werden.
Im Ergebnis befindet man sich bei einer Verneinung der vollstÀndigen Entlastungswirkung des
SchÀdigers durch das hinzugedachte Verhalten eines Dritten bei der KausalitÀt der Unterlassung
im Einklang mit allen beschriebenen LösungsansĂ€tzen zur ĂŒberholenden KausalitĂ€t.116 Wollte man
hingegen dem bloà gedachten Verhalten eines hypothetischen Dritten eine gÀnzliche Entlastungs-
wirkung fĂŒr den realen SchĂ€diger zuerkennen, tĂ€te sich ein Wertungswiderspruch zur ĂŒberholen-
den KausalitĂ€t auf. Es wĂŒrde in der Folge ein rein fiktives Verhalten bei der KausalitĂ€tsprĂŒfung der
Unterlassung eine stÀrkere Entlastung des SchÀdigers bewirken, als ein zweites wirkliches Ereignis
bei der ĂŒberholenden KausalitĂ€t.117
VI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Der OGH hat in einer aktuellen Entscheidung118 die KausalitÀt einer Unterlassung verneint, weil der
Schaden selbst bei pflichtgemĂ€Ăem Verhalten des SchĂ€digers eingetreten wĂ€re. Zur Entlastung
fĂŒhrte jedoch letztlich das, als Reaktion hinzugedachte haftungsbegrĂŒndende Verhalten eines Drit-
ten. Die Entscheidung wurde zum Ausgangspunkt genommen, um die Grenzen der Entlastungs-
wirkung der hypothetischen KausalitÀt zu diskutieren.
Die KausalitĂ€t einer Unterlassung wird durch das Hinzudenken des pflichtgemĂ€Ăen Verhaltens ge-
prĂŒft. Als sinnvoll erweist es sich, diese weit gefasste PrĂŒfungshypothese einzuschrĂ€nken. Das Leit-
113 Röckrath, KausalitĂ€t, Wahrscheinlichkeit und Haftung 26; kritisch zu diesem BegrĂŒndungsmuster schon NiederlĂ€n-
der, AcP 153 (1954) 41 (54).
114 Gebauer, Hypothetische KausalitÀt 387 f.
115 Vgl zum rechtmĂ€Ăigen Alternativverhalten Koziol in FS Deutsch 179 (185), der in diesem Zusammenhang den das
Schadenersatzrecht mitbeherrschenden Gedanken der PrÀvention und der Sanktion nennt. Koziol plÀdiert auch
aus diesem Grund fĂŒr eine Schadensteilung, wenn bei rechtmĂ€Ăigem Alternativverhalten der Schaden nicht ein-
getreten wÀre; schon dahingehend NiederlÀnder AcP 153 (1954), 41 (70 f); Hart/Honoré, Causation in Law2 IXXX.
116 III.A.; statt vieler zum rechtmĂ€Ăigen Alternativverhalten und der ĂŒberholenden KausalitĂ€t: Koziol, Grundfragen des
Schadenersatzrechts 7/29.
117 Vgl Koziol in FS Deutsch 179 (185); NiederlÀnder, JZ 1959, 617.
118 OGH 26.6.2017, 2 Ob 117/16v = EvBl 2017/155 (Zoppel).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal