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ALJ 2019 Moritz Zoppel 36
motiv muss dabei der Zweck der übertretenen Norm sein. Als Faustregel bietet es sich an, die Kau-
salitätsprüfung auf das Verhalten des Schädigers und des Geschädigten zu reduzieren. Das fiktive
haftungsbegründende Verhalten Dritter sollte keine Berücksichtigung mehr finden. Diese Ein-
schränkung wird spiegelbildlich bei der Prüfung der Kausalität einer Handlung vollzogen. Nach der
Conditio sine qua non Formel soll die Handlung des Täters reduziert werden, während es außer
Betracht bleibt, dass ansonsten ein erfundener Dritter durch ein fiktives Verhalten den Schaden
ebenso verursacht haben könnte.119
Die überholende Kausalität – als Referenzmodell der hypothetischen Kausalität – und die Kausali-
tät einer Unterlassung stehen im Grunde vor einem verwandten Problem. Es geht um die Frage,
ob der reale Schädiger durch ein erdachtes Ereignis entlastet wird. Ein wesentlicher Unterschied
der beiden Kausalitätsfiguren liegt freilich in der Qualität, aber auch der Dimension der getroffe-
nen Annahmen. Dennoch sollen die maßgebenden Wertungen bei der Lösung der beiden Kausali-
tätsprobleme parallel zueinander verlaufen.120
Nach der Judikatur und einer weitverbreiteten Meinung zur überholenden Kausalität geht die reale
der hypothetischen Kausalität grundsätzlich vor. Der erste oder reale Schädiger wird durch den
zweiten oder hypothetischen Schädiger nicht vollständig entlastet. Am weitesten wird – sofern das
Rechtsgut noch nicht vollständig zerstört wurde – das Verhalten des zweiten Schädigers nach F.
Bydlinski und Koziol miteinbezogen. Zu einer gänzlichen Haftungsbefreiung des realen Schädigers
soll es jedoch auch nach ihnen nicht kommen. Unter engen Voraussetzungen wird von F. Bydlinski
und Koziol allerdings eine solidarische Haftung des konkret-gefährlich handelnden hypothetischen
Schädigers mit dem realen Schädiger erwogen. Würde der Schädiger bei einer Unterlassung nun
durch das erdachte Verhalten eines Dritten vollständig von seiner Haftung befreit, wäre der Wer-
tungswiderspruch zur überholenden Kausalität augenscheinlich: Dem hinzugedachten Verhalten
eines Dritten käme eine stärkere Entlastungwirkung zu, als der realen Reserveursache bei der
überholenden Kausalität. Letztlich würde sich das fiktiv begangene Unrecht eines nicht haftenden
Dritten zum Glücksfall für den realen Schädiger entwickeln.
Zusammengefasst lohnt es sich vor diesem Hintergrund, die uneingeschränkte Berücksichtigung
von Hypothesen bei der Kausalitätsprüfung einer Unterlassung zu überdenken. Einen Orientie-
rungspunkt bildet dabei eine vom konkreten Normzweck getragene Einschränkung der offenen
Prüfungshypothese. Ferner sollten die gemeinsamen Wertungen innerhalb der Fallgruppe der hy-
pothetischen Kausalität stärker beachtet und Wertungswidersprüche vermieden werden.
119 V.A.
120 III.C.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal