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ALJ 2021 Schadenersatz 21
VIII. Abschließende Würdigung
Zum Abschluss muss das Gesagte noch im Hinblick auf den einleitend umrissenen
Untersuchungsgegenstand zusammengefasst werden.
A. Zum Rücktritt vom Eheverlöbnis
Mit der vorliegenden Untersuchung konnte zur rechtlichen Wirkung des Rücktrittes vom
Eheverlöbnis (§ 46 ABGB) gezeigt werden:
• Das Gesetz bewertet als den Umstand, der zum Schadenersatz verpflichtet, die
Erklärung, sich in Zukunft ehelichen zu wollen.
• Für den Schaden, der im dadurch erweckten Vertrauen entsteht, ist nach dem
erwiesenen Willen der Redaktoren des ABGB verschuldensunabhängig einzustehen.
Diese Wertung des Gesetzgebers ist zu akzeptieren, weil es keine hinreichenden
Gründe für ihre Korrektur gibt. Auf Grund des mittlerweile vordringlichen
schadenersatzrechtlichen Blickwinkels auf die Ersatzpflicht bei Verlöbnisbruch scheint
es zwar verständlich, dass für das Verschuldenskriterium aus Gründen der
Systemgerechtigkeit plädiert wird. Anerkennt man jedoch, dass die Erklärung der
Bereitschaft zur Eheschließung die Haftung grundlegt, zeigt sich, dass sich ein
Einstehen für eine verschuldensunabhängig geschaffene Vertrauenslage nicht mit
Grundwertungen des österreichischen Rechts spießt.
B. Zur „Haftung wegen grundlosem Abbruch der Vertragsverhandlungen“
Der eingangs angesprochenen „Haftung wegen grundlosem Abbruch der
Vertragsverhandlungen“ kann an dieser Stelle aufgrund der Komplexität dieses
Problemkreises nicht mehr vertiefend nachgegangen werden. Die Erkenntnisse zu den
rechtlichen Wirkungen bei Rücktritt vom Eheverlöbnis drängen aber zumindest ein paar
Gedanken zu den Stimmen auf, die zur Begründung einer verschuldensunabhängigen
Haftung bei Verhandlungsabbruch mit – wenn überhaupt – unterschiedlichem Gewicht auf
§ 46 ABGB (§§ 1298 f BGB) rekurrieren.131
131 Den möglichen Zusammenhang zwischen der Haftung wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen und dem
Verlöbnisrücktritt (§ 46 ABGB) brachte für das österreichische Recht – soweit ersichtlich – erstmals Ostheim (JBl 1980, 522
[1. Teil], 570 [578; 2. Teil]) ins Spiel. Ostheim sieht in der Haftung für den grundlosen Rücktritt vom Verlöbnis die Basis für
eine Gesetzesanalogie (dagegen Koziol, Haftpflichtrecht II3 A 2 Rz 316 insb auch Fn 18; Machold, Vertragsverhandlungen
139 f; s auch Lukas, JBl 2009, 751 [1. Teil], 2010, 23 [34 in Fn 153]; vgl zur Haftung wegen Abbruchs von
Vertragsverhandlungen insb auch Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] Vor §§ 918 ff Rz 255, der die Rechtsgrundlage
im vorliegenden Zusammenhang in einer Analogie zu § 1003 ABGB erblickt). Damit greift Ostheim einen Gedanken auf, den
zuvor bereits Canaris (Vertrauenshaftung 544; zustimmend etwa H. Stoll, Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa
in contrahendo, in FS v. Caemmerer [1978] 435 [446]; dagegen etwa Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in
Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I [1981] 479 [498]) zum BGB geäußert hatte. Canaris
(in FS BGH [2000] 129 [181 f]) betonte später allerdings auch, dass die Regelung des Verlöbnisrücktrittes (§§ 1298 f BGB)
keine „echte Analogiebasis“ für einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf den Vertrauensschaden bei Abbruch der
Vertragsverhandlungen gibt. Vielmehr geben die Regelung der §§ 1298 f BGB zur Begründung eines solchen Anspruchs „im
Wege einer verhältnismäßig freien richterlichen Rechtsfortbildung“ bloß einen „gewisse[n] positivrechtliche[n] Ansatz“, weil
sie ein Parallelproblem betreffen. Singer (Widersprüchliches Verhalten 286 ff) lehnt es zwar ebenso ab, die §§ 1298 f BGB
„analog“ anzuwenden, möchte diese aber zumindest in „ihrem grundsätzlichen Wertgehalt“ berücksichtigen (aaO 288). Nach
Singer (in FS Canaris [2002] 135 [143]) verdienen die §§ 1298 ff BGB besondere Beachtung bei der Behandlung der Haftung
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Austrian Law Journal
Volume 1/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 59
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal