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ALJ 2021 Lindenbauer 28
sämtliche Grundfreiheiten im Hinblick auf die Rechtfertigungsprüfung im Wesentlichen gleich
zu behandeln sind,24 kann eine endgültige Klärung an dieser Stelle unterbleiben. Fest steht,
dass durch die Nichtanerkennung ausländischer publizitätsloser Mobiliarsicherheiten in die
Grundfreiheiten der EU eingegriffen wird und es somit einer Rechtfertigung bedarf. Genau
diese Rechtfertigung ist nun im Zusammenhang mit der hier zu erörternden Rechtsfrage der
eigentlich umstrittene Punkt.25
III. Verfolgung eines legitimen Zieles
Wegen der expansiven Interpretation des Gerichtshofes in Bezug auf Beeinträchtigungen der
Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten kommt der Rechtfertigungsmöglichkeit schon
ganz allgemein eine besonders große Bedeutung zu.26 Eine solche erfordert zunächst das
Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen nationalen Interesses, das mit der jeweiligen
restriktiven Maßnahme gewahrt werden soll. Traditionell wird dabei zwischen
„geschriebenen“ und „ungeschriebenen“ Rechtfertigungsgründen unterschieden, wobei
letztere grundsätzlich nur in Bezug auf nicht (direkt) diskriminierende Maßnahmen
herangezogen werden können.27 Eine direkte Diskriminierung liegt immer dann vor, wenn
eine Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit bzw Herkunft der Ware erfolgt.28
Letzteres ist bei einer Nichtanerkennung von ausländischen publizitätslosen
Mobiliarsicherheiten nicht der Fall, weil entscheidendes Kriterium alleine die
Publizitätslosigkeit ist.29 Insofern kämen zur Rechtfertigung der österreichischen Regelung
neben den im AEUV30 ausdrücklich normierten Rechtfertigungsgründen31 auch die
ungeschriebenen „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ in Betracht, welche der
EuGH bereits in der Sache Cassis de Dijon32 anerkannt und seither in Bezug auf sämtliche
Grundfreiheiten laufend fortentwickelt hat.33 Darunter fällt zB der Verbraucherschutz34, der
Umweltschutz35, die Gewährleistung von Straßenverkehrssicherheit36 oder die Vermeidung
einer erheblichen Gefährdung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Systems der sozialen
Sicherheit37. Letztendlich akzeptiert der EuGH unabhängig von den jeweils betroffenen
Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit); Lurger, IPRax 2019, 562 (mögliche Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit,
Kapitalverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit).
24 So zumindest im Hinblick auf die Rechtfertigung durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“. Vgl etwa Klamert,
EU-Recht2 Rz 624, 653 ff, 659 ff; Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 275.
25 Vgl neben vielen Flessner, Rechtswahl im Internationalen Sachenrecht – neue Anstöße aus Europa, in FS Koziol (2010)
125 (143); Faber, ÖBA 2019, 407 f.
26 Vgl Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 275 ff.
27 Vgl hierzu etwa Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5 AEUV Art 36 Rn 80 ff; Frenz, Handbuch Europarecht I2 (2012) Rz 517.
Zur Aufweichung dieses Ansatzes in jüngerer Zeit vgl Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 276 f; Klamert, EU-Recht2 Rz 644.
28 Klamert, EU-Recht2 Rz 635; Frenz, Handbuch Europarecht I2 Rz 491 f.
29 Dies zeigt sich im Fall des deutschen Sicherungseigentumes schon daran, dass etwa auch österreichisches publizitätsloses
Sicherungseigentum nicht anerkannt wird.
30 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) idF ABl C 2012/326, 47.
31 Darunter fällt insbesondere der Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit. Siehe nur Klamert, EU-Recht2
Rz 644 ff.
32 EuGH 20.2.1979, 120/78, Cassis de Dijon.
33 Vgl zB Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5 AEUV Art 36 Rn 80; Roth in Eidenmüller/Kieninger, Future of Secured Credit
51 f; Ehlers in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten4 § 7 Rz 84, 119.
34 Vgl zB EuGH 28.1.2016, C-375/14, Laezza, Rn 31.
35 Vgl zB EuGH 11.3.2010, C-384/08, Attanasio Group, Rn 50.
36 Vgl zB EuGH 15.10.2015, C-168/14, Grupo Itevelesa, Rn 74.
37 Vgl zB EuGH 10.3.2009, C-169/07, Hartlauer, Rn 47.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 59
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal