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ALJ 2/2015 Helmut Koziol 191
Diese beiden Systeme der Verdrängung einerseits und des Miteinander andererseits erwecken
den Eindruck, eher unversöhnlich einander gegenüber zu stehen. Es scheint mir jedoch möglich,
durch die Herausarbeitung des wahren Kerns des skandinavischen Modells und durch dessen
Weiterentwicklung, aber auch durch BerĂĽcksichtigung der in anderen Rechtsordnungen fĂĽr die
Schädigung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber vorhandenen Ansätze zu einer vermitteln-
den Lösung zu gelangen, die die Vorteile beider Systeme in der Sache möglichst erhält und die
Nachteile weitgehend vermeidet. Ich sehe nämlich die Möglichkeit, die schon vorhandenen
Systeme konsequent weiterzuentwickeln und ohne gravierenden Bruch mit den bisherigen
Traditionen auf Erprobtem aufzubauen. Diese Lösung scheint mir zumindest einer gründlichen
Diskussion wert zu sein; sie könnte in Europa immerhin auf einige Akzeptanz stoßen und einen
Kompromiss ermöglichen, dem keine unüberbrückbaren Hürden entgegenstehen.
Das traditionelle System des Miteinander von Sozialversicherungs- und Schadenersatzrecht ver-
wirklicht einerseits das Ziel, zunächst dem Verletzten auf der Grundlage des Sozialversicherungs-
rechts unabhängig von der Schadensursache rasch Ausgleichsleistungen zukommen zu lassen, die
allerdings meist beschränkt sind und daher keinen vollen Schadensausgleich bringen; andererseits
führt die Möglichkeit des Rückgriffs der Sozialversicherung gegen den Schädiger dazu, dass die
dafĂĽr anfallenden Kosten letztlich von jenem zu tragen sind, der nach den allgemeinen Zurech-
nungsregeln dafĂĽr verantwortlich ist.
Es ist allerdings zu bedenken, dass die Ersatzpflicht des Schädigers in den meisten Fällen durch
eine Haftpflichtversicherung abgedeckt sein wird und daher der RĂĽckgriff des Sozialversicherers
einerseits nur mehr eine geringe Präventionswirkung entfaltet; diese hängt von einer entspre-
chenden, das Schädigungsrisiko berücksichtigenden Ausgestaltung der Haftpflichtversicherung
ab. Es ist aber immerhin jedenfalls noch insofern der Gedanke der Schadenszurechnung wirksam,
als der verantwortliche Schädiger die Versicherungsprämien zu zahlen und damit die Kosten für die
Schadensabdeckung durch den Haftpflichtversicherer zu tragen hat. Negativ scheint aber in die
Waagschale zu fallen, dass wegen des RĂĽckgriffverfahrens zwischen Sozialversicherer und Haft-
pflichtversicherer des Schädigers zweimal Abwicklungskosten anfallen. Diese sind jedoch wegen
der vielfach gehandhabten jährlichen, pauschalierten Abgeltungen der Aufwendungen der Sozial-
versicherer durch die Haftpflichtversicherer ohnehin sehr niedrig und ihnen sollte daher keine
entscheidende Bedeutung beigemessen werden.
Das skandinavisch-polnische System, das dem Geschädigten selbstverständlich die gleichen Vor-
teile wie das konventionelle bietet, kann immerhin noch den weiteren Vorteil fĂĽr sich verbuchen,
dass es schon durch sein Grundkonzept des Regressausschlusses eine Verdoppelung von Abwick-
lungskosten vermeidet. Dies ist allerdings – wie schon erwähnt – ein eher vernachlässigenswerter
Vorteil, da Pauschalabgeltungen eine kostengünstige Abwicklung ermöglichen. Die Lösung leidet
ĂĽberdies vor allem daran, dass durch den Ausschluss des RĂĽckgriffs des Sozialversicherers sowohl
gegen den Schädiger als auch dessen Haftpflichtversicherer die sachgerechte Belastung des ver-
antwortlichen Schädigers, der den Schaden in zurechenbarer Weise verursacht hat, in Höhe der
Sozialleistungen endgĂĽltig beseitigt wird und damit auch die dem Schadenersatzrecht eigenen
letzten Reste einer Präventionswirkung völlig ausgeschaltet werden, da diese nicht einmal mehr
mittelbar durch eine risikoabhängige Prämiengestaltung aufrecht erhalten wird. Bedenklich ist
vor allem, dass die Schädiger – anders als in so manchen Rechtsordnungen die Arbeitgeber im
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal