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ALJ 2/2015 Helmut Koziol 193
Sozialversicherung ist – wie auch Askeland22 hervorhebt und schon früher für den Bereich der
Arbeitnehmer-Unfallversicherung betont wurde23 – bei Regressausschluss in der Sache zugleich
auch eine allgemeine, obligatorische Haftpflichtversicherung für Personenschäden zugunsten
des Schädigers. Es ist nun sachlich nicht zu rechtfertigen, dass dem für den Schaden Verantwort-
lichen jegliche Belastung oder zumindest jede risikoadäquate Belastung, die jener bei einer Haft-
pflichtversicherung entspricht, abgenommen und diese auf die Allgemeinheit überwälzt wird –
die Sozialversicherung wird ja durch Beiträge der Arbeitgeber, durch einkommensabhängige
Beiträge der Versicherten und durch den Staat finanziert.24 Es wird somit dem Gedanken der
ausgleichenden Gerechtigkeit in keiner Weise mehr ausreichend Rechnung getragen: Jene Sozial-
versicherten, die geringes Schädigungsrisiko hervorrufen – das sind auch eher die Kleinverdiener –
müssten die Großschädiger – meistens die Großverdiener und Unternehmer – mitfinanzieren. Ein
höchst asoziales Ergebnis.
Es ist daher erforderlich, für den Bereich der Abdeckung von zurechenbar verursachten Schäden
die durch den Regressausschluss geschaffene zweite Funktion der Sozialversicherung gesondert
zu berĂĽcksichtigen und sie auch dementsprechend zu behandeln: Soweit es in der Sache um eine
generelle, obligatorische Haftpflichtversicherung zugunsten der verantwortlichen Schädiger geht,
sind von diesen auch die risikoentsprechenden Kosten zu tragen. Das kann sicherlich nicht
dadurch erreicht werden, dass die Sozialversicherungsbeiträge für alle Sozialversicherten, die
Beiträge der Arbeitgeber und des Staates etwas erhöht werden, da dadurch – anders als bei der
Haftpflichtversicherung – weder die völlig unterschiedlichen Haftungsrisiken der in unter-
schiedlichem Ausmaß gefahrengeneigten Tätigkeiten noch die individuellen Haftungsanfällig-
keiten berĂĽcksichtigt wĂĽrden. Es ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, wenn etwa in
Norwegen im Bereich der Kraftfahrzeug- und der Arbeitgeberhaftpflichtversicherung Beitrags-
zahlungen an den Sozialversicherungsträger vorgesehen werden25; dies ist allerdings nicht aus-
reichend, weil dadurch nicht alle potenziellen Haftpflichtigen erfasst werden, die in den Genuss
einer „generellen obligatorischen Haftpflichtversicherung“ kommen, sondern nur zwei wichtige
Gruppen eher willkürlich herausgegriffen werden. Für den Teilbereich der „generellen Pflicht-
Haftpflichtversicherung“ wäre jedoch so wie für die vertragliche Haftpflichtversicherung generell
eine risikoabhängige Prämiengestaltung vorzusehen, um zu gewährleisten, dass die nach den
schadenersatzrechtlichen Regeln für Schäden Verantwortlichen einen dem Haftungsrisiko entspre-
chenden Beitrag zu zahlen haben. Nur so kann erreicht werden, dass die Pflicht-Haftpflichtver-
sicherten auch die Kosten der sie begĂĽnstigenden Haftpflichtversicherung tragen, und dadurch
würde auch eine restliche Präventionswirkung aufrecht erhalten, die dem heutigen konventionellen
System entspricht.
Anders ausgedrĂĽckt, es ist zu berĂĽcksichtigen, dass in Skandinavien und Polen der Sozialversi-
cherer in Wahrheit zwei unterschiedliche Funktionen ĂĽbernimmt: Einerseits die traditionelle
Schadensversicherung zugunsten der Erkrankten und Verletzten; andererseits die Haftpflichtver-
sicherung zugunsten der Schädiger, die zurechenbar Personenschäden verursachen. Die beiden
unterschiedlichen Versicherungsfunktionen sind zu trennen und erfordern auch unterschiedliche
Prämiengestaltungen, um die unterschiedlichen Risiken sachgerecht zu berücksichtigen.
22 Askeland in Koziol Rz 2/7.
23 Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht (2007) 267 ff; ihm folgend Koziol, Grundfragen Rz 2/70.
24 Askeland in Koziol Rz 2/5.
25 Askeland in Koziol Rz 2/7.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal