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ALJ 2/2015 Klauselbegriff und âblue pencil testâ in der AGB-Rechtsprechung 200
âFĂŒr die Qualifikation einer Klausel als âeigenstĂ€ndigâ ist [âŠ] nicht die Gliederung des Klausel-
werks maĂgebend. Es können vielmehr auch zwei unabhĂ€ngige Regelungen in einem Punkt oder
sogar in einem Satz der Allgemeinen GeschĂ€ftsbedingungen [âŠ] enthalten sein. Es kommt da-
rauf an, ob ein materiell eigenstÀndiger Regelungsbereich vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn
die Bestimmungen [âŠ] isoliert voneinander wahrgenommen werden können.â28
Ăhnlich judiziert der BGH: LĂ€sst sich eine AGB-Klausel nach ihrem Wortlaut âaus sich heraus
verstĂ€ndlich und sinnvollâ in einen inhaltlich zulĂ€ssigen und in einen unzulĂ€ssigen Regelungs-
teil trennen, so sei die Aufrechterhaltung des zulÀssigen Teils rechtlich unbedenklich.29
In diesem Zusammenhang verwenden heute das österreichische30 wie das deutsche31 Schrift-
tum, deutsche Instanzgerichte32, das BAG33 und â seit Kurzem auch â der BGH34 das Schlagwort
âblue pencil testâ. Teilweise ist auch von âgeltungserhaltender Klauselabgrenzungâ die Rede.35
JĂŒngst formulierte etwa der BGH36:
âDie inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulĂ€ssigen
und einen inhaltlich unzulÀssigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klau-
sel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test);
ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen ist dabei unerheblich.â
Die deutsche Literatur nennt vielfach drei Bedingungen fĂŒr eine erfolgreiche Klauselabgrenzung
nach dem âblue pencil testâ: Erstens mĂŒsse der unwirksame Teil ohne Weiteres gestrichen
werden können, also im sprachlichen Sinn ohne Wortlautkorrektur trennbar sein. Zweitens
mĂŒsse der angemessene Teil eine aus sich heraus verstĂ€ndliche und sinnvolle Regelung darstellen.
Drittens dĂŒrfe der angemessene Teil keine von der bisherigen Gestaltung völlig abweichende und
28 OGH 2 Ob 215/10x wobl 2012, 404 (Riss); RIS-Justiz RS0121187; erstmals in diesem Sinne (zu § 6 KSchG) OGH 6
Ob 140/06s JBl 2007, 247 (Leitner) unter Berufung auf Leitner (Transparenzgebot [2005] 68 f), St. Korinek (Das
Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG, JBl 1999, 149 [169]) und Fitz (in FS Schnorr 652). Leitner beruft sich
wiederum auf Neumann (Geltungserhaltende Reduktion und ergÀnzende Auslegung von Allgemeinen GeschÀfts-
bedingungen [1988] 43), demzufolge der âabzutrennende Teil [âŠ] Wort fĂŒr Wort isolierbar seinâ mĂŒsse.
29 BGH VIII ZR 155/99 NJW 2001, 292; siehe die Nachweise in BGH III ZR 325/12 NJW 2014, 141. AusdrĂŒcklich zur
ZulÀssigkeit der Umformulierung des Vertragstextes bekannte sich hingegen BGH IX ZR 108/94 NJW 1995,
2553; siehe dazu Hager, Der lange Abschied vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, JZ 1996, 175 (176 ff);
Keim, Entscheidungsanmerkung, DNotZ 1996, 285 f; Reich/Schmitz, GlobalbĂŒrgschaften in der Klauselkontrolle
und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion NJW 1995, 2533 (2534); weitere Entscheidungen bei Uffmann,
Verbot 161 Fn 67.
30 Bollenberger, Die gefahrlose Wiederholungsgefahr nach § 28 Abs 2 KSchG, ĂBA 2010, 304 (310 Fn 41); Fidler,
JBl 2014, 706; derselbe, Das bestandrechtliche Schrifttum des Jahres 2013, Jahrbuch Wohnrecht 2014 (2014) 49
(62); Geroldinger, ĂBA 2013, 33 und 36; Kellner, Rechtsbegriff 229; Leitner, Transparenzgebot 68 f; Prader/
Walzel von Wiesentreu, Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, ZulÀssigkeit der ergÀnzenden Vertragsaus-
legung oder wie? RdW 2013, 383 (386); Riss, RdW 2007, 398; derselbe, Anmerkung zu OGH 5 Ob 42/11d, ĂBA
2012, 312; derselbe, Zwei Fragen des Transparenzgebots, ĂBA 2013, 650; Rummel in Rummel/Lukas (Hrsg),
ABGB4 (2014) § 878 Rz 15; Vonkilch, MietvertrÀge im Fokus des Verbraucherrechts, wobl 2007, 185 (203); vgl
auch schon Fitz in FS Schnorr 652.
31 Anstelle vieler Basedow in MĂŒnchKomm BGB6 (2012) § 306 Rz 18; Berger in PrĂŒtting/Wegen/Weinreich (Hrsg),
BGB9 (2014) § 306 Rz 6; GrĂŒneberg in Palandt (Hrsg), BGB74 (2015) § 306 Rz 7.
32 Anstelle vieler (chronologisch) BayOLG REMiet 1/96 NJW-RR 1997, 1371; LAG Hamm 19 Sa 360/04 BeckRS
2004, 42047; KG (Berlin) 27 U 65/05 NJOZ 2007, 4255; LAG Schleswig-Holstein 5 Sa 499/11 BeckRS 2012,
75405; OLG Frankfurt am Main 17 U 54/12 BeckRS 2013, 03292; LAG Köln 7 Sa 101/13 Rz 157 ff BeckRS 2013,
71618.
33 BAG 10 AZR 152/07 NZA 2008, 699; 10 AZR 443/08 NZA 2009, 783; 5 AZR 483/12 NZA 2014, 1262. Eine Ăbersicht
zur einschlÀgigen Rsp des BAG bietet etwa Zimmermann, Rechtsfolgen unwirksamer Allgemeiner GeschÀftsbe-
dingungen in ArbeitsvertrÀgen, ArbRAktuell 2012, 105 (106).
34 Soweit ersichtlich, erstmals in BGH III ZR 325/12 NJW 2014, 141; seither auch BGH III ZR 32/14 WRP 2014, 1469.
35 So etwa Jacobs in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg), BeckOK Arbeitsrecht34 (2014) § 306 BGB Rz 7 f mwN;
Roth, VertragsÀnderung 39 f.
36 BGH III ZR 325/12 NJW 2014, 141.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal