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ALJ 2/2015 Wolfgang Faber 227
(egal in welcher Gestalt) noch identifizierbar vorhanden ist.63 Negativ und ĂĽberspitzt formuliert:
Ein Gläubiger unterliegt, anstatt vor einem „anarchischen Wettlauf“ geschützt zu sein, deshalb,
weil der gemeinsame Schuldner den von ihm erhaltenen Vermögenswert zufällig entweder schon
frĂĽher ausgegeben hat (prior tempore, peior iure) oder es nicht gelingen will, den zwar noch vor-
handenen Wert als solchen des Gläubigers eindeutig zu identifizieren (normative Kraft des Mögli-
chen). Der maĂźgebende Gerechtigkeitsgedanke verlagert sich weg von jenem, dem falschen
Schuldner ungesichert kreditiert zu haben, und geht letztlich dahin, dass entscheidend sein soll,
was dieser mit dem empfangenen Wert macht; allenfalls, ob dritte Gläubiger schon in der Lage
waren, den empfangenen Wert zur Deckung ihrer eigenen Ansprüche aus dem Schuldnervermö-
gen abzuziehen.64
Mit dieser – zugegebenermaßen ihrerseits einseitig-kritisch formulierten – Perspektive kommt
dem Wertverfolgungsgedanken eigentlich wenig Ăśberzeugungskraft fĂĽr die Entscheidung um
Einräumung eines dinglich wirkenden Schutzes zu. Wie für andere dingliche Sicherungsrechte
auch bleibt es dann aber wohl dabei, auf die Vereinbarung einer dinglichen Sicherung durch die
Parteien und die Einhaltung vom Gesetz fĂĽr solche Rechte allgemein vorgegebene Voraussetzungen
abzustellen. Damit liegt nahe, dem Wertverfolgungsgedanken fĂĽr die Frage, ob dem Eigentums-
vorbehalt im Gegensatz zu anderen Realsicherheiten die Publizitätspflicht erspart werden soll,
kein entscheidendes Gewicht beizumessen.
E. Geringe Täuschungsgefahr, leichte Feststellbarkeit
Es verbleiben im Wesentlichen Argumente, die eine Zulässigkeit des Eigentumsvorbehalts in seiner
gewohnten – also publizitätslosen – Form quasi selbst voraussetzen. Hierher gehört insb der An-
satz, dass die Gefahr der Täuschung Dritter geringer sei als bei einer publizitätslosen Verpfän-
dung oder SicherungsĂĽbereignung, weil im Verkehr damit gerechnet werden muss, dass Sachen
unter Eigentumsvorbehalt verkauft werden und der Kaufpreis nicht immer sofort entrichtet wird.65
Dies lässt sich auf faktischer Ebene, jedenfalls was die tatsächliche Verbreitung von Vorbehalts-
vereinbarungen betrifft, schwer bestreiten.66 In rein argumentativer Hinsicht leidet der Gedanke
aber natĂĽrlich daran, dass das normativ ausgerichtete Ergebnis auf seiner eigenen Vorwegnahme
aufbaut.
63 Wilburg, JBl 1949, 29. Als mögliche Gestalten des ins Schuldnervermögen gelangten Werts nennt er dabei beispiel-
haft den unmittelbar erlangten Gegenstand, den Erlös aus der Weiterveräußerung desselben sowie eine Ersparnis,
die sich aus dem Verbrauch des Erlangten im Vermögen des Schuldners ergibt.
64 Im letzten Fall begegnet wieder der „archaische Wettlauf“ der Gläubiger als normatives Prinzip, allerdings in
anderem Zusammenhang: Der Gläubiger, „dessen“ Wert aus dem Schuldnervermögen durch rasch handelnde
Drittgläubiger bereits abgezogen wurde, hat keine Aussicht auf bevorzugte Befriedigung. Andere, denen diese
Möglichkeit noch offensteht, höhlen damit die Restmasse zum Nachteil der Übrigen aus.
65 Statt vieler etwa Apathy in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IX 285 (Rz 4/10); F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 462.
66 Rezente empirische Daten zur Verbreitung von Eigentumsvorbehalten in Ă–sterreich liegen mir nicht vor. Nach
einer von der Kfw-Bankengruppe fĂĽr Deutschland durchgefĂĽhrten Umfrage bewerten durchschnittlich 36,1 %
der befragten Unternehmen Lieferantenkredite als „wichtig“ für ihre Betriebsmittel- und Auftragsfinanzierung; vgl
Kfw, Unternehmensbefragung 2014, 4 bzw 36 ff, abrufbar unter: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/
Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Unternehmensbefragung/Unternehmensbefragung-2014-LF.pdf (abge-
fragt am 1. 9. 2015). Davon, dass Vorbehaltsklauseln in Lieferanten-AGB standardmäßig Verwendung finden,
wird in den Rechtswissenschaften allgemein ausgegangen. Ob freilich aufseiten von Drittinteressenten bei kon-
kreten Kauf- oder Kreditierungsentscheidungen mit dem Bestehen eines Eigentumsvorbehalts tatsächlich ge-
rechnet wird, ist eine andere, empirisch noch deutlich schwieriger zu klärende Frage.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal