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ALJ 2/2015 Die Rule of Law im Völker- und im Europarecht – aktuelle Probleme 260
- Erstens, dass die Unionsrechtsakte die im Primärrecht festgelegten Grundwerte und
Grundregeln der Unionsverfassung einhalten mĂĽssen; und
- zweitens, dass ein wirksamer Zugang zu einer unabhängigen Rechtsschutzinstanz gegen
MaĂźnahmen der Union zur VerfĂĽgung stehen muss.
Beiden Seiten dieses Rechtsstaatlichkeitsgrundsatzes, der in der Union positivrechtlich verwirk-
licht ist, werden wir heute noch mehrfach begegnen. Im Sinne eines umfassend verstandenen
Begriffs der Rule of Law geht es bei den nun folgenden Betrachtungen aus verschiedenen Blick-
winkeln immer wieder um Institutionen, Prozesse und auch materielle Standards.
Mit der eingangs getroffenen Feststellung zur EU als Rechtsstaatsunion ist aber jedenfalls nicht
schon ein gedachtes Ende der Integrationsgeschichte erreicht. Nicht einmal dann, wenn man so
wie ich an der mehrere Jahre dauernden Entstehung des Vertrags von Lissabon beteiligt war und
bei seinem Inkrafttreten auf Jahrzehnte hinaus keine weiteren Vertragsänderungen mehr als
erforderlich, geschweige denn als wünschenswert ansah. Gegenwärtig sieht sich die Europäische
Union nämlich in mehrfacher Hinsicht neuerlich mit Aufgaben konfrontiert, deren Bewältigung
ganz wesentlich auch ihre Hauptorgane in Anspruch nimmt und welche die wechselseitigen Bezie-
hungen zwischen diesen sowie jene zwischen Union und Mitgliedstaaten insgesamt gehörig stra-
pazieren und auf die Probe stellen.
II. Vier thematische Schwerpunkte
Lassen Sie mich daher anhand von vier Beispielen und aktuellen Schwerpunkten meines Arbeits-
bereichs als Praktiker veranschaulichen, wie die Europäische Union des 21. Jahrhunderts bemüht
ist, sich diesen Problemen in Bezug auf das Zustandekommen und die Anwendung ihres Rechts
zu stellen; sie lauten:
1. Wahrung der Grundwerte und der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten;
2. Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK);
3. Sicherung einer wirksamen und leistungsfähigen Gerichtsbarkeit;
4. Gewährleistung angemessener demokratischer Mitbestimmung auf allen Stufen der Recht-
setzung.
Die genannten Projekte repräsentieren in passender Weise auch vier ganz unterschiedliche Ent-
wicklungsstadien: Nur in Bezug auf die Grundwerte sind bisher konkrete Teilerfolge und Verbes-
serungen gelungen, der EMRK-Beitritt hat jĂĽngst einen deutlichen RĂĽckschlag hinnehmen mĂĽssen,
die Gerichtsreform konnte nach Ăśberwindung einer echten Blockade vor Kurzem durch einen poli-
tischen Kompromiss der Mitgliedstaaten im Rahmen des Rates hoffentlich wieder flottgemacht
werden und ein Fortschritt beim Dauerthema Demokratiedefizit wird demnächst im Zuge von
Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Europäischer Kommission über eine neue Interinstitu-
tionelle Vereinbarung (IIV) „Bessere Rechtsetzung“ bzw überhaupt erst in einer zukünftigen Ände-
rung der Gründungsverträge ihren Niederschlag finden können. Also noch recht viel „unfinished
business“ und „work in progress“.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal