Page - 266 - in Austrian Law Journal, Volume 2/2015
Image of the Page - 266 -
Text of the Page - 266 -
ALJ 2/2015 Die Rule of Law im Völker- und im Europarecht – aktuelle Probleme 266
D. Demokratische Mitbestimmung
Die EU ist eine „Union der Demokratie“. Sie bezieht ihre Legitimität aus dem von den Unionsbür-
gerInnen unmittelbar gewählten Europäischen Parlament ebenso wie aus den indirekt legitimierten
Organen Rat und Kommission.15 Rat und Parlament der EU sind befugt, Gesetze in Form von Ver-
ordnungen, Richtlinien und BeschlĂĽssen zu erlassen. Die nationalen Parlamente sind in die Gesetz-
werdung gemäß Protokoll Nr 2 eingebunden, um ihre allfälligen Bedenken zur Einhaltung des
Subsidiaritätsgedankens geltend zu machen.
Die Unionsregelungen sollen demnach so bürgernah getroffen werden wie möglich (Art 10 Abs 3
letzter Satz EUV). Um eine allzu detailreiche Regelungswut und ĂĽberlange Gesetzgebungsverfahren,
die sich mit politisch wenig bedeutsamen Nebensächlichkeiten herumschlagen, zu verhindern,
können die Unionsgesetzgeber auch die Kommission ermächtigen, Änderungen oder Ergänzungen
an den sogenannten Basisrechtsakten, den EU-Gesetzen, selbst vorzunehmen. Die in Art 290 AEUV
dafür vorgesehene Form nennt sich „delegierter Rechtsakt“. Dem Rat und dem Europäischen
Parlament stehen als demokratische Kontrollrechte dabei der Widerruf der Ermächtigung an die
Kommission im gesamten betreffenden Bereich und der Einspruch gegen jeden einzelnen von
der Kommission erlassenen delegierten Rechtsakt zu. Erweist es sich umgekehrt zur wirksamen
und einheitlichen Anwendung der Normen durch die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten
als erforderlich, können der Kommission vom Unionsgesetzgeber gemäß Art 291 Abs 2 AEUV die
Befugnisse zur Erlassung von EU-weiten DurchfĂĽhrungsakten ĂĽbertragen werden. In Anbetracht
der großen Beiträge, die Österreich unter seinen Ratsvorsitzen 1998 und 2006 jeweils zur Weiter-
entwicklung in diesem Bereich geleistet hat, komme ich einfach nicht umhin, hier den Begriff des
Komitologieverfahrens wenigstens zu nennen.
In allen Phasen der Annahme dieser beiden als tertiäres Unionsrecht bezeichneten Rechtsakts-
typen sollten ExpertInnen der Mitgliedstaaten ihren Sachverstand in ausreichendem MaĂźe
begleitend oder kontrollierend einbringen können. Mit den Komitologieausschüssen, welche
die Kommission bei der AusĂĽbung ihrer DurchfĂĽhrungsbefugnisse kontrollieren, ist dies auf-
grund der dafĂĽr vorgesehenen Verfahrensbestimmungen in der Komitologie-Verordnung aus
201116 gewährleistet. Die Kommission hat dem Rat auch in einer interinstitutionellen Vereinba-
rung17 gemeinsam mit dem Europäischen Parlament aus demselben Jahr zugesagt, dass sie vor
Erlass eines delegierten Rechtsaktes angemessene Konsultationen von ExpertInnen durchfĂĽhren
wird. Hier hält die Praxis der Kommission aufgrund sehr uneinheitlicher Vorgansweise je nach
Politikbereich allerdings nicht Schritt mit den von den Mitgliedstaaten im Rat sowie von den
mitgliedstaatlichen Parlamenten gehegten Erwartungen hinsichtlich Transparenz der Verfahren
und Mitwirkungsmöglichkeiten der letztlich betroffenen einzelstaatlichen Ebene. Doch nicht
nur das Wie, auch das Ob stößt auf Kritik. Denn das österreichische Parlament beispielsweise
bemängelt zuletzt immer nachdrücklicher die schier ausufernde Zahl von Ermächtigungen für
15 Vgl Art 10 Abs 2 EUV.
16 VO (EU) 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 2011 zur Festlegung der allgemeinen
Regeln und Grundsätze, nach denen Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die
Kommission kontrollieren, ABl L 2011/55, 13.
17 „Vereinbarung“ bzw „Common Understanding“ vom März 2011, Ratsdokument Nr 8753/1/11 REV 1.
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 2/2015"
Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal