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ALJ 2/2017 Stefan Perner 108
Die Anforderungen an den Provider dürfen hier nicht überspannt werden. Die nach § 1330 ABGB
im Einzelfall notwendige Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung, Werturteil und Wer-
tungsexzess ist damit bspw nicht im Auskunftsverfahren gegen den Betreiber der Website näher
zu prüfen, sondern erst im Verfahren gegen den konkreten Poster. Voraussetzung ist lediglich,
dass aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine Ver-
urteilung nach § 1330 ABGB nicht gänzlich auszuschließen ist.16
Freilich kann der Auskunftsanspruch nach § 18 ECG in der Praxis daran scheitern, dass der Provi-
der keine Informationen über den Namen und die Anschrift des Verletzers hat. Rechtlich kann
der Anspruch etwa dann scheitern, wenn andere Rechte, etwa das Redaktionsgeheimnis,17
schwerer wiegen.18
IV. Ausblick
Die angesprochenen Themen und Fragen sind juristisch noch längst nicht erschöpfend behandelt
oder ausjudiziert. Vielmehr stellen sich immer neue Fragen im digitalen Umfeld. Ein Beispiel da-
für ist der sog „digitale Nachlass“ einer Person. Was passiert etwa nach dem Tod einer Person mit
ihren Accounts in sozialen Netzwerken („digitale Spuren“)?19 Diese enthalten regelmäßig höchst-
persönliche Inhalte und sind in der analogen Welt wohl mit Tagebüchern und Briefen vergleich-
bar, wenngleich aus ihnen häufig sogar noch mehr über eine Person in Erfahrung gebracht wer-
den kann. Inwieweit und von wem sind hier datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche
Interessen der verstorbenen Person zu berücksichtigen und zu wahren? Wer hat Ansprüche auf
Herausgabe von Daten gegenüber dem sozialen Netzwerk? Muss die verstorbene Person zu Leb-
zeiten aktiv werden, um solche Ansprüche auszuschließen?
In besonders drastischer Weise zeigt sich diese Problematik in einem aktuellen Fall20 in Deutsch-
land: Eine Mutter wollte auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter
zugreifen, die mutmaßlich Selbstmord begangen hatte (sie wurde von einer U-Bahn überfahren).
Die verzweifelte Mutter erhoffte sich dadurch Aufschlüsse über die möglichen Beweggründe für
diese Tat. Die Onlineplattform Facebook verweigerte die Herausgabe der Kontodaten und den
Zugriff auf das Profil der verstorbenen Tochter, ua mit Hinweis auf den Datenschutz. Von der
begehrten Offenlegung der Nachrichten seien darüber hinaus auch andere Nutzer betroffen. Das
Gericht erster Instanz entschied, dass das Nutzerprofil der Tochter Teil des Erbes sei und die
Eltern Anspruch auf Zugang haben. Das Gericht zweiter Instanz21 entschied – noch nicht rechts-
kräftig – hingegen zugunsten von Facebook. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehe dem
Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten.
Die Revision zum BGH wurde zugelassen. Die endgültige Entscheidung wird naturgemäß mit
großem Interesse erwartet.
Zum Urteil der zweiten Instanz kann an dieser Stelle nur kurz angemerkt werden, dass die aus-
schließliche Stützung auf das Fernmeldegeheimnis, insb angesichts der besonders tragischen
16 Siehe RIS-Justiz RS0129335; zB OGH 6 Ob 133/13 x MR 2014, 59.
17 Vgl RIS-Justiz RS0129334; zB OGH 6 Ob 133/13x MR 2014, 59.
18 Probleme haben sich in der Vergangenheit auch iZm dynamischen IP-Adressen und deren Einordnung als Ver-
kehrsdaten ergeben, siehe RIS-Justiz RS0124954.
19 Vgl dazu zB Brehm, Ausgewählte Fragen zum Umgang mit dem digitalen Nachlass, JEV 2016, 159.
20 LG Berlin 20 O 172/15 DNotZ 2016, 537.
21 KG 21 U 9/16 BeckRS 2017, 111509.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 108
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal