Page - 67 - in Austrian Law Journal, Volume 2/2018
Image of the Page - 67 -
Text of the Page - 67 -
ALJ 2018 Lando Kirchmair 67
Schlagworte: Legalenteignung (Art 6 StGG; Art 1 1 ZProt EMRK); âHitler Hausâ; öffentliches Inte-
resse; WiederbetÀtigungsverbot iSd § 3 VerbotsG.
I. Einleitung
Macht es dem Erdboden gleich!1 Nein, wartet. Noch besser: Ignorieren wir es!2 Oder besteht doch
die Chance auf eine tiefgreifende VerÀnderung; die Chance auf Transformation der Wahrneh-
mung weg von dem Geburtshaus Adolf Hitlers hin zu etwas Positivem?
Seit 18 Jahren will die öffentliche Debatte ĂŒber das Geburtshaus Adolf Hitlers in der kleinen öster-
reichischen Stadt Braunau am Inn nicht zur Ruhe kommen.3 Die MedienprÀsenz dieser in die
Jahre gekommenen Immobilie ist erstaunlich. Die weltweite Berichterstattung ĂŒber das Haus hĂ€lt
die österreichische Politik auf Trab. Nahezu jeder âVorschlagâ, wie mit dem Objekt weiter zu ver-
fahren sei, fand und findet eine groĂe BĂŒhne. Bereits jetzt scheint es vergebene MĂŒhe, alle Vor-
schlÀge und Protagonisten aufzuzÀhlen.4
Dieser Beitrag will sich der Thematik aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive nÀhern. Im
Jahr 2017 wurde die EigentĂŒmerin der Liegenschaft nach jahrelangem MietverhĂ€ltnis mit der
Republik per Gesetz enteignet.5 Anders könne die Verhinderung eines potentiellen Missbrauchs
des Hauses (und seiner Geschichte) nicht gewÀhrleistet werden. Hier wird im Folgenden analy-
siert, inwiefern sich in der Entscheidung des VfGH die Legalenteignung als verfassungskonform
erwiesen hat (II.B.). Ein zentrales Element dieser Analyse wird das öffentliche Interesse an der
Verhinderung des Missbrauchs sein (II.B.1.). Aufgrund der Dynamik, welche die Geschichte des
Hauses bis zur Gegenwart begleitet hat, sind noch weitere â auch durchaus ĂŒberraschende â
Entwicklungen denkbar.6 Dementsprechend blickt der Beitrag auch in die Zukunft und fragt zum
einen, was ein der Entscheidung des VfGH widersprechendes Urteil des EGMR verfassungsrecht-
lich und verfassungspolitisch bedeuten könnte (III.A.). Zum anderen verspricht das schwierig zu
fassende öffentliche Interesse an der Verhinderung des Missbrauchs des Hauses weitere â wo-
möglich unvorhergesehene â Trendwenden. Wird der Zweck, welcher der Enteignung zu Grunde
liegt, verfehlt, hat eine RĂŒckĂŒbereignung zu erfolgen. Fraglich ist folglich, was das im gegenstĂ€nd-
1 Siehe dazu âRusse will Hitlers Geburtshaus abreiĂenâ, Welt.de vom 8. 11. 2012, abrufbar unter
https://www.welt.de/regionales/muenchen/article110783494/Russe-will-Hitlers-Geburtshaus-abreissen.html [diese
und weitere URLs wurden zuletzt abgerufen am 6. 6. 2018]. Ein Abriss wurde ebenfalls vom damaligen Innenminis-
ter Wolfgang Sobotka bevorzugt. Siehe nur âSobotka kann sich Abriss von Hitlers Geburtshaus vorstellenâ, Die-
Presse.com vom 12. 6. 2016, abrufbar unter http://diepresse.com/home/innenpolitik/5013522/Sobotka-kann-
sich-Abriss-von-Hitlers-Geburtshaus-vorstellen. Vgl darĂŒber hinaus den Leserbrief von Ăhlinger im Profil vom 13.
6. 2016, welcher zwar ebenso einen Abriss befĂŒrwortet; allerdings verbunden mit dem Vorschlag ein Haus mit
Wohnungen fĂŒr FlĂŒchtlinge an der Stelle zu errichten, um âeine konkrete[] und radikale[] âUmpolungââ zu erreichen.
2 FĂŒr den Plan das Haus einer gewöhnlichen Verwendung als Wohnhaus zuzufĂŒhren, news.sky vom 6. 7. 2016,
abrufbar unter http://news.sky.com/story/row-over-plans-for-hitlers-birthplace-10468805.
3 Der Ausgangspunkt kann mit der von der Braunauer Rundschau initiierten, von BĂŒrgermeister Gerhard Skiba,
dem Verein fĂŒr Zeitgeschichte und allen Fraktionen des Braunauer Gemeinderates mitgetragenen Aktion âBraunau
setzt ein Zeichenâ vom 7. 2. 2000 festgesetzt werden. Siehe http://www.braunau.at/gemeindeamt/html/psx1.htm.
4 Eine âGoogle Sucheâ mit den Schlagwörtern âHitler Hausâ liefert 6.970.000 Ergebnisse [6. 6. 2018].
5 BGBl I 2017/4.
6 Detaillierte PlĂ€ne, wie mit dem Haus nunmehr verfahren werden soll, liegen noch nicht vor â ein Architektur-
wettbewerb soll dieser Planlosigkeit Abhilfe verschaffen. Siehe dazu âSobotka: âHaus darf nicht erkennbar seinââ,
ooe.orf.at, vom 18. 10. 2016, abrufbar unter http://ooe.orf.at/news/stories/2803701/. Bis zur KlÀrung der Höhe
der EntschĂ€digungssumme liegt dieser Wettbewerb allerdings auf Eis. Siehe dazu Sendlhofer, ââHitlerhausâ: Minis-
terium verhandelt mit Lebenshilfe weiterâ, kurier.at vom 28. 3. 2018, abrufbar unter
https://kurier.at/chronik/oberoesterreich/hitlerhaus-ministerium-verhandelt-mit-lebenshilfe-weiter/400012855.
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 2/2018"
Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal