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ALJ 2018 Dual-Use-Verträge 95
differenzieren ist.40 Der EuGH verneinte in dieser Entscheidung die Verbrauchereigenschaft eines
Landwirtes. Die Verbrauchereigenschaft nach Art 13 EuGVĂś gehe verloren, wenn der Vertrag
teilweise gewerblich ist, es sei denn der berufliche oder gewerbliche Zweck spiele eine ganz un-
tergeordnete Rolle. Der EuGH fĂĽhrte in der Entscheidung in der Rs Gruber/Bay Wa viele prozess-
rechtliche GrĂĽnde an, die sich nicht auf den materiellrechtlichen Verbraucherbegriff ĂĽbertragen
lassen, so etwa den Ausnahmecharakter des Verbrauchergerichtsstandes – grundsätzlich sei das
Gericht des Vertragsstaates am Wohnsitz des Beklagten zuständig –, die Vermeidung einer Ge-
richtsstandhäufung,41 die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerich-
tes.42 Zu beachten sind allerdings auch teleologische Argumente, wie, dass bei einem teilweisen
Geschäftszweck kein verbraucherrechtliches Schutzbedürfnis eines Akteurs vorliege, da dieser
auf einer Ebene mit dem anderen Vertragspartner stehe.43 Dennoch kann daraus noch nicht der
in der Rs Gruber/Bay Wa angewendete Vernachlässigbarkeitstest per se für das materielle Recht
herangezogen werden.44 Im gegenständlichen Fall ist die VGK-RL als materiellrechtliche RL auszu-
legen, auf die sich die prozessrechtlichen GrĂĽnde nicht ohne weiteres ĂĽbertragen lassen.
b. Heranziehung der Verbraucherrechte-Richtlinie (VRRL)
Vielmehr könnte eine rechtsaktübergreifende Auslegung zwischen der VGK-RL und der VRRL
Anhaltspunkte fĂĽr die Beurteilung der Dual-Use-Problematik nach der VGK-RL liefern. Art 2 Nr 1
VRRL liegt eine klassische Verbraucherdefinition zugrunde, wie sie auch ähnlich in der VGK-RL
enthalten ist. ErwGr 17 S 2 VRRL sieht aber die Ăśberwiegensregel vor, wonach ein Verbraucher-
geschäft vorliegt, wenn der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht
ĂĽberwiegend ist. Wie bereits oben ausgefĂĽhrt, hat bei einem Schlussantrag des Generalanwaltes
und in der EU-Gesetzgebung die Ăśberwiegensregel bereits Eingang gefunden.45 In der Literatur
wird aber auch gefragt, ob der EuGH auĂźerhalb der VRRL nicht doch beim engen Verbraucherbe-
griff bleibt.46
Die möglichen Folgen auf den Anwendungsbereich der VGK-RL sind daher unklar. Fraglich ist, ob –
wie GA Cruz Villalón in Costea/SC Volksbank Romania47 ausgeführt hat – der gemeinsame Zweck,
die ausdrĂĽckliche VerknĂĽpfung der beiden Richtlinien und der nahezu gleiche Wortlaut der Ver-
braucherdefinition für diese sprechen könnten.
Zunächst stellt sich im Hinblick auf die rechtsaktübergreifende Auslegung des Verbraucherbegriffes
der VGK-RL hinsichtlich der Dual-Use-Problematik mit der VRRL die Frage der Zulässigkeit der
40 Acquis Principles, Erläuterungen zu Art 1:201 Rz 6; von Bar/Clive, DCFR Art I-1:105 DCFR Rz 27; vgl Bamberger in
Bamberger/Roth/Haus/Posek (Hrsg), Beck’scher Online-Kommentar BGB 47 (Stand 1. 8. 2018) § 13 BGB Rz 12.
41 EuGH 20. 1. 2005, C-464/01, Gruber/Bay Wa Rz 32, 43, 44.
42 EuGH 20. 1. 2005, C-464/01, Gruber/Bay Wa Rz 45 bezieht sich auf EuGH 19. 2. 2002, C-256/00, Besix/
Wasserreinigungsbau Alfred Kretzschmar Rz 24–26; vgl von Bar/Clive, DCFR Art I-1:105 DCFR Rz 27; Zoll, Die Grund-
regeln der Acquis-Gruppe im Spannungsverhältnis zwischen acquis commun und acquis communautaire, GPR
2008, 106 (115).
43 EuGH 20. 1. 2005, C-464/01, Johann Gruber/Bay Wa AG Rz 40; Jansen/Zimmermann, Grundregeln des bestehenden
Gemeinschaftsprivatrechts?, JZ 2008, 1113 (1117) FN 58; Wendehorst, Der Gemeinsame Referenzrahmen, Entste-
hung, Inhalte, Anwendung, in Schmidt-Kessel (Hrsg), Der Gemeinsame Referenzrahmen (2009) 323 (324).
44 Ähnlich Zehentmayer, JBl 2016, 614; P. Bydlinski, RdW 2017, 14.
45 FN 12 und FN 13.
46 Wendehorst, NJW 2014, 577; Heiderhoff, Privatrecht4 Rz 212.
47 SA Cruz Villalón C-110/14, Horațiu Ovidiu Costea/SC Volksbank România SA Rz 35 ff; dazu Schürnbrand, Weitere
Konturierung des europäischen Verbraucherbegriffes, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 3. 9. 2015, C-110/14
(Coesta ./. SC Volksbank Romania), GPR 2016, 19 (20 f).
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal