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ALJ 3/2017 Helmut Koziol 179
sich um einen von niemandem zu verantwortenden Zufall handelt.62 Einige Beispiele zur Veran-
schaulichung:
Der KlÀger K, ein Bergsteiger, wurde von einem herabfallenden Stein getroffen und verletzt; zur
gleichen Zeit flog ein zweiter Stein nur knapp an seinem Kopf vorbei. Aber in dieser Abwandlung
des eingangs erwÀhnten Beispiels wird der Steinschlag einerseits durch die Sorglosigkeit des
Bergsteigers B und andererseits durch eine GÀmse ausgelöst; es kann jedoch nicht festgestellt
werden, welcher der Steine vom Bergsteiger und welcher von der GĂ€mse losgetreten wurde.
Andere Beispiele sind sicherlich praktisch bedeutsamer, insb solche aus dem Bereich der Àrztli-
chen Fehlbehandlung: Nach der Entlassung aus dem Spital erkrankt K. Es kann nicht festgestellt
werden, ob diese Erkrankung auf eine erwiesenermaĂen erfolgte Ă€rztliche Fehlbehandlung zu-
rĂŒckzufĂŒhren ist oder auf eine ebenfalls nachweisbare krankhafte Anlage des Patienten.
Illustrativ ist auch der englische Fall Hotson v. East Berkshire Area Health Authority:â 63 Der 13-jĂ€hrige
Hotson fiel von einem Baum und erlitt schwere Verletzungen; er hatte selbst bei sofortiger ord-
nungsgemĂ€Ăer Behandlung nur eine Heilungschance von 25 %. Im Krankenhaus wurde die erfor-
derliche Behandlung jedoch erst verspÀtet vorgenommen; der Bub blieb lebenslang behindert.
Entsprechende Probleme entstehen regelmĂ€Ăig dann, wenn der Arzt die Behandlung eines
Krebspatienten verspÀtet beginnt und daher die Heilungschancen erheblich geringer sind: Es
kann dann nicht mehr festgestellt werden, ob der Verzug zum Tod des Patienten gefĂŒhrt hat oder
nicht.
F. Bydlinskiâ 64 kombiniert seinen Ansatz zur Lösung der FĂ€lle alternativer KausalitĂ€t mit dem
Grundgedanken des § 1304 ABGB (â § 254 BGB; Art 44 Abs 1 Schweizerisches Obligationenrecht
[OR]â ), der bei Mitverantwortung des GeschĂ€digten eine Schadensteilung vorsieht. Er gelangt damit
zu dem Ergebnis, dass der GeschÀdigte auch bei Konkurrenz eines haftbar machenden Ereignisses
mit einem Zufall einen Teil seines Schadens ersetzt bekommen mĂŒsse, den potenziell kausalen
SchÀdiger somit eine Teilhaftung trifft.
Gegen die von F. Bydlinski vertretene Gleichstellung jener FĂ€lle, in denen zwei verantwortliche
TÀter als SchÀdiger in Betracht kommen, und jenen, in denen entweder ein verantwortlicher
TĂ€ter oder ein Zufall den Schaden herbeigefĂŒhrt hat, könnte eingewendet werden, dass nur im
ersten Fall feststehe, dass der GeschĂ€digte keinesfalls selbst den Schaden hĂ€tte tragen mĂŒssen,
nicht aber im zweiten Fallâ . Daraus wird verschiedentlich geschlossen, dass K kein Teilanspruch
einzurĂ€umen sei. Nach einer in vielen Rechtsordnungen verbreiteten Auffassungâ
65 wĂ€re fĂŒr die
SchadenersatzansprĂŒche daher entscheidend, ob der Arzt nachweislich durch seinen Behand-
lungsfehler den Gesundheitszustand verschlechtert oder gar den Tod herbeigefĂŒhrt hat. Können
die KlÀger die KausalitÀt beweisen, so erlangen sie vollen Ersatz; scheitert der Beweis, so erhalten
sie nichts.
62 NĂ€heres bei Koziol, Grundfragen Rz 5/86 ff.
63 In 3 WLR 1987, 232.
64 F. Bydlinski, Aktuelle Streitfragen um die alternative KausalitÀt, FS Beitzke (1979) 3 (30 ff); F. Bydlinski, Haftungsgrund
und Zufall als alternativ mögliche Schadensursachen, FS Frotz (â 1993â ) 3.
65 Siehe dazu Faure, Comparative Analysis, in Faureâ
/â
Koziol, Cases on Medical Malpractice in Comparative Perspective
(2001) 267 (276 ff).
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Austrian Law Journal
Volume 3/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 3/2017
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 66
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal