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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 93 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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war vom Fusel der Blechmusik, dem Flirren des Lichts und von der eigenen warmen Lust ihres Beisammenseins. Seit ich selber wach geworden war, spürte ich auf einmal das Leben der andern, ich spürte die Brunst der Millionenstadt, wie sie sich heiß und aufgestaut in die paar Stunden des Sonntags ergoß, wie sie sich aufreizte an der eigenen Fülle zu einem dumpfen, tierischen, aber irgendwie gesunden und triebhaften Genuß. Und allmählich spürte ich vom Angeriebensein, von der unausgesetzten Berührung mit ihren heißen leidenschaftlich drängenden Körpern ihre warme Brunst selbst in mich übergehen: meine Nerven strafften sich, ausgebeizt von dem scharfen Geruch, aus mir heraus, meine Sinne spielten taumelig mit dem Getöse und empfanden jene verwirrte Betäubung, die mit jeder starken Wollust unweigerlich gemengt ist. Zum erstenmal seit Jahren, vielleicht überhaupt in meinem Leben, spürte ich die Masse, spürte ich Menschen als eine Macht, von der Lust in mein eigenes, abgeschiedenes Wesen überging: irgendein Damm war zerrissen, und von meinen Adern gings hinüber in diese Welt, strömte es rhythmisch zurück, und eine ganz neue Gier überkam mich, noch jene letzte Kruste zwischen mir und ihnen abzuschmelzen, ein leidenschaftliches Verlangen nach Paarung mit dieser heißen, fremden, drängenden Menschheit. Mit der Lust des Mannes sehnte ich mich in den quellenden Schoß dieses heißen Riesenkörpers hinein, mit der Lust des Weibes war ich aufgetan jeder Berührung, jedem Ruf, jeder Lockung, jeder Umfassung – und nun wußte ichs, Liebe war in mir und Bedürfnis nach Liebe wie nur in den zwielichthaften Knabentagen. Oh, nur hinein, hinein ins Lebendige, irgendwie verbunden sein mit dieser zuckenden, lachenden, aufatmenden Leidenschaft der andern, nur einströmen, sich ergießen in ihren Adergang; ganz klein, ganz namenlos werden im Getümmel, eine Infusorie bloß sein im Schmutz der Welt, ein lustzitterndes, funkelndes Wesen im Tümpel mit den Myriaden aber nur hinein in die Fülle, hinab in den Kreisel, mich abschießen wie einen Pfeil von der eigenen Gespanntheit ins Unbekannte, in irgendeinen Himmel der Gemeinsamkeit. Ich weiß es jetzt: ich war damals trunken. In meinem Blute brauste alles zusammen, das Hämmern der Glocken von den Karussells, das seine Lustlachen der Frauen, das unter dem Zugriff der Männer aufsprühte, die chaotische Musik, die flirrenden Kleider. Spitz fiel jeder einzelne Laut in mich und flimmerte dann noch einmal rot und zuckend an den Schläfen vorbei, ich spürte jede Berührung, jeden Blick mit einer phantastischen Aufgereiztheit der Nerven (so wie bei der Seekrankheit), aber doch alles gemeinsam in einem taumeligen Verbundensein. Ich kann meinen komplizierten Zustand unmöglich mit Worten ausdrucken, am ehesten gelingt es noch vielleicht mit einem Vergleiche: wenn ich sage, ich war überfüllt mit Geräusch, Lärm, Gefühl, überheizt wie eine Maschine, die mit allen Rädern 93
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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