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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 59
Sie besteht nur aus Briefen von Franz, der alleine irgendwo ist, an einem See,
Annenheim ungefähr, wo ich voriges Jahr war. Er ist dort nach einem sehr
traurigen Erlebnis, dem Tod von einem ganz jungen Mädchen, den er mitge-
macht hat, weil er sie und ihre Mutter sehr gerne hat. Er soll sich dort davon
erholen. Seine Briefe (an den Freund) zeigen, wie er erst noch einmal ganz
tief hineingerät und dann allmählich auf Umwegen wieder freier wird. Man-
che Briefe weiß ich schon ziemlich genau. Aber geschrieben habe ich noch
nichts davon und es wird ja wieder so wenig daraus werden wie aus den
andern. Ich denke nur gerne daran. Nicht tagträumerisch, sondern um die
Briefe zu machen. Die Antworten sind nicht dabei.254 Tatsächlich lässt sich
keiner der erhaltenen Texte diesem Briefwechsel zuordnen, allerdings
erwähnt Anna im schon zitierten Brief an den Bruder Ernst vom 26 Jän-
ner 1921, dass das längere der mitgeschickten Text-›Stückchen‹ aus einer
Serie von einseitigen Gesprächen, von denen noch nicht viel da ist,255 stam-
me. Dieser Text, datiert auf November 1920, findet sich in der Sammlung
der Library of Congress in Washington, ohne die Überschrift »1 Ge-
spräch«, mit der der ansonsten gleichlautende Text an Ernst betitelt ist 256
Ebenfalls unter dem Titel »Gespräch« und genauso wie im »1 Gespräch«
briefartig formuliert als direkte Anrede an einen Freund gibt es ein weite-
res Prosastück, datiert auf September 1921.257
Hauptthema, was die literarischen Vorhaben betrifft, ist im Briefwech-
sel mit Lou aber das Romanprojekt »Heinrich Mühsam«. Der Name des
Titelhelden lässt aufhorchen. Hat Anna sich von den Mühsams im nähe-
ren und weiteren Umfeld inspirieren lassen? In der vom Internationalen
Psychoanalytischen Verlag herausgegebenen Zeitschrift »Die Psychoana-
lytische Bewegung« werden 1930 Ausschnitte aus einer Rezension von
Freuds »Unbehagen in der Kultur« wiedergegeben, die ein gewisser Hein-
rich Mühsam in der »Vossischen Zeitung« publiziert hatte.258 Wer war die-
ser Heinrich Mühsam? Geboren 1900 in Berlin, studierte er zunächst Jus
und kam in den Zwanzigern zur »Vossischen Zeitung«, wo er seit 1926 die
254 LAS-AF, I, S 360 f
255 FML, Briefe Anna Freud – Ernst Freud, 1919–1970, Brief v 26 I 1921
256 Nr. 49
257 Nr. 59 a
258 Die Psychoanalytische Bewegung 2 (1930), H 3, S 291
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik