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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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es nicht die Frau gewesen ist, die den Vater totgeschlagen hat« Und hier
legt sie dar: Das weibliche Geschlecht fällt gleichsam nicht ganz heraus aus
der Vaterliebe (…) In Freuds Terminologie hieße das: im Weibe muß der In-
zestwunsch nicht ganz so total überwunden sein wie im Manne (…). Wohl
überschätzt auch das Weib seine Vater-Imago, ja restloser noch als der Mann,
aber es geschieht zwiespaltloser. (…) Wettkampf um Rechte, (…) Gleich-
heitssucht bedeutet für die Frau Selbstentfremdung, kurz: daß sie den Va-
ter totzuschlagen beginnt.305 Um Anna ›Zwiespaltlosigkeit‹ zu attestieren,
müsste man sich glatt die Augen zubinden … In der Zeit von Freuds erster
Operation schreibt Lou an Anna: Dein enges Um-den-Vatersein erhält je-
denfalls jetzt besondere Wichtigkeit; wenn irgend Jemand, so hast Du jetzt
eine Mission zu erfüllen. Da nun doch Deine Tante nicht zuverlässig gesund
sein kann, so muß Gastein Dir zufallen; ich würde an Deiner Stelle ein bischen
drum kämpfen (mir fällt wunderlicherweise eine Stelle aus der Bibel ein (…):
»– – daß Niemand Deine Krone raube«).306 Als Anna die Rolle der Begleiterin
Freuds in seiner Krebserkrankung klar übernommen hatte, bekam sie von
Lou zu hören: Immer denk ich jetzt so: Dein ganzes Leben und Sein ist nun
aufgegangen (– auf in dem Sinn von: »aufblühen«! trotz allem und allem
Blüte!) weil Du dich in ungeheurer und heiliger Notwendigkeit für den teu-
ersten der Menschen fühlst; alles Vorherige, wieviel innerlich Nötigstes es
auch war, war doch nichts gegen dieses Einander-nötigseins. Ich stelle mir
immer wieder vor: nun erst ist es das ganz Große, in sich Vollkommene ge-
worden.307 Freud hatte sich gründlich verrechnet, als er Lou ins Boot holte,
um Anna (ja auch nicht ohne Ambivalenzen) ein bisschen von sich wegzu-
bringen … Aus einem Brief im Dezember 1924 geht hervor, dass Lous Idee
für Anna immer das Zuhause-Bleiben gewesen war: Du weißt ja sicher, was
von allem, das Du mir gesagt hast, mir der allerliebste und allerwichtigste
Gedanke geworden ist. Gerade bei jedem Geburtstag muß ich neu daran
denken, daß ich es ohne Dich vielleicht nie herausgefunden hätte, sondern
mich von denen hätte in Unsicherheit bringen lassen, die mich aus lauter
Zukunftsangst um mich am liebsten von hier weggeschickt hätten.308 Dabei
305 LAS, Was daraus folgt, S 239 u S 241
306 LAS-AF, I, S 182
307 LAS-AF, I, S 232
308 LAS-AF, I, S 384 f
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik