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6 VonderKulturalisierungzurTemporalisierung 213
»Aber ichunterstellemal, dass ein liberales Familienbild schonEinzugge-
halten hat in Österreich. UndMuslime sind gesellschaftlich sicher, in der
Masse,gesellschaftlichsicherweniger liberal.Alsodasheißt–unddasmei-
ne ichnichtnur inBezugaufFragenderHomosexualität.Dort ist es sicher
ganzextrem.Dabin ichüberzeugtdavon,dass selbst sich selbstals liberal
bezeichnendeMuslimedas viel eher ablehnen –und zwar,militant nicht,
aber…Gewalt kann ich ihnennichtunterstellen,will ich ihnennichtunter-
stellen–aber sicherlichdeutlicher, vehementer ablehnenals konservative
Kreise inderchristlichgeprägtenGesellschaft.« (B1m)
WirkönnendiesePassagealsDiskursmechanismusuntersuchen, indemre-
ferentielle, prädikationelle, argumentative und perspektivierende Elemente
imSinne derDiskursanalyse nachRuthWodak (Reisigl/Wodak 2001: 44-46)
zusammenwirken.Referentiell findet eineKontrastierung zwischen ›uns‹ –
hierals ›Österreich‹sowieals ›christlichgeprägteGesellschaft‹benannt–und
›ihnen‹–Muslime,einschließlich ›sichselbstals liberalbezeichnendeMusli-
me‹–statt.ArgumentativwirdderToposdermuslimischenGeschlechterver-
hältnisse aufgerufen,wie er inKapitel 5.5 dargestelltwurde.Dabeiwirddie
Wir-Gruppe (prädikationell) der Sie-Gruppe vorgezogen und (perspektivie-
rend)einemSelbstbildzugeordnet,daseinemliberalenFamilienbildundTo-
leranzgegenüberHomosexualitätverpflichtetist.Dassdas›liberale‹Bildvom
BefragtenalserstrebenswerteNormaufgefasstwird,machtdieVerknüpfung
derAblehnungderselbenmit ›Gewalt‹ deutlich (auchwenner sienicht »un-
terstellen« will). »Liberal« bezeichnet hier aber offensichtlich nicht ein be-
stimmtespolitischesLager innerhalbeinerGesellschaft,etwa imUnterschied
zu ›konservativ‹ oder ›sozialdemokratisch‹, sonderneineEigenschaftderGe-
sellschaftalsGanze.NursoergibtdiescheinbarparadoxeFormulierungSinn,
dassauch ›konservativeKreise‹ indieserGesellschaft ein ›liberalesFamilien-
bild‹ verträten, obwohl Konservativismus in gesellschaftspolitischen Fragen
gemeinhin als Gegensatz zumLiberalismus verstandenwird. Entscheidend
ist, dass dieserDiskursmechanismus auf einer bestimmten zeitlichenOrd-
nung beruht. Der temporalisierendeMarker ist dieModalpartikel ›schon‹.
Dadurch entsteht dasBild einerGesellschaft, in der ein »liberales«Bild von
FamilieundSexualität bereits »Einzuggehalten«hätte,währenddasAndere
dieserGesellschaft–dieMuslimInnen–diesenProzessnochnichtvollzogen
hätten. Es geht also nicht nur umkulturelle Zuschreibungen imSinne von
divergierendenWerten undNormen innerhalb einer Gesellschaft, sondern
umdiediskursiveTrennungzwischenderGesellschaftundeinerGruppe,die
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Title
- Im Namen der Emanzipation
- Subtitle
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Author
- Benjamin Opratko
- Publisher
- transcript Verlag
- Location
- Bielefeld
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 366
- Keywords
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik