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bemerkungen mit, spricht sozusagen kursiv, vergißt manchmal ein
Substantiv, das er schon in den vorausgehenden Epitheta verbraucht
hat, doch liefert er’s im nächsten Satz nach.
Zu Beifallsstürmen reißt Kuh sein Publikum hin, wenn er, der ein
empfindliches Ohr für lokale Sprachfärbungen, individuelle Zungen-
schläge und Sprachmasken hat, in seine scharfen und akzentuierten
Sätze ganz unvermittelt und übergangslos zur Illustration einer Analyse
Parodien hineinstellt, wenn er in blitzraschen Verwandlungen wie ein
Schauspieler auftritt, der in einem Stück alle Rollen selbst bestreitet.
Wenn er etwa im Vortrag »Warum haben wir kein Geld?« den Urahn
der Rothschilds im Gespräch mit seinem Nachfahren auf die Bühne
stellt, den knochentrockenen Urkapitalisten, der mit dem Verräter am
Geld hadert, der nach »Kulturwerten« schielt. Oder im April 1933
unter dem Titel »Der Geist des Mittelalters oder Worüber man nicht
sprechen darf«, ganz Sprachphysiognomiker, Schüsselbegriffe der Nazi-
Propaganda wie »Umstellung«, »Synthese«, »Einstellung« oder »Raum«
in ihrer heroischen Geschwollenheit zerpflückt und, den deutschen
Rundfunk imitierend, »Weltgeschichte aus dem Bierkrügel« zum Besten
gibt. Seine Zuhörer schaudert es, und sie schütteln sich gleichzeitig vor
Lachen, wenn er den politischen Kundgebungen stimmlich Gestalt
gibt. Ob er nun einen jesuitischen Polizeikommissär gibt, einen alten
jüdischen Journalisten, einen blasierten Schauspieler oder einen besesse-
nen Literaturjüngling, er kopiert diese Typen nicht, sondern versteht es,
in ihre Haut zu schlüpfen. Und wenn er einen radotierenden Betrunke-
nen gibt, der, den Hut im Nacken, beim achten Viertel hält und 1913
die dräuende politische, soziale und geistige Pleite vorauslallt, dann ist
der Kerl »aus der Erde, die die Weinstöcke genährt, geformt, mit Fusel
angefeuchtet, man spürt seinen alkoholischen Hauch, der uns wie aus
einem Fasse entgegenschlägt und der Genius loci leuchtet im heiligen
Feuer klassischer Ordinärheit.«42
Das Szenario der Kuhschen Performances ist karg. An Requisiten
auf der Bühne: ein Tisch, ein Stuhl, auf dem Tisch – ab Mitte der zwan-
ziger Jahre
– eine Flasche Kognak, manchmal ein Glas dazu, das er sich
ab und zu randvoll einschenkt. Kuh nimmt Platz, redet sich warm,
kommt in Bewegung, steht auf, steht hinter dem Stuhl, gestikuliert,
geht dann anderthalb, zwei Stunden herum, sprechend, ringend, die
Worte aus den Gesten schöpfend, vom Tisch zu den Fußlichtern, von der
Rampe zur Flasche zurück, in Abschweifungen, bisweilen stockend,
dann wieder angetrieben von Einfällen. Immer wieder unterbrochen
von spontanem Beifall, von Zeit zu Zeit ein Zwischenruf, der schlag-
fertig pariert wird.
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book Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien