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verrat, Majestätsbeleidigung, Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen
Hauses, Störung der öffentlichen Ruhe, Aufstand und Aufruhr. Die
Amnestie für politische Delikte – in deren Genuß auch eine Handvoll
(bis dahin ehemaliger und nunmehr reaktivierter) Reichratsabgeordneter
kommt, als prominentester Karel Kramář, Leitfigur und vehementer
Vertreter einer tschechischnationalen Politik –, gedacht als Geste der
Versöhnung, heizt jedoch die alten Nationalitätenkonflikte an, die schon
in der ersten Sitzung des wiedereinberufenen Reichsrats wieder virulent
geworden sind. Sie polarisiert nicht nur im Reichsrat, auch weite Kreise
der deutschsprachigen Bevölkerung Wiens sind empört über den (aus
ihrer Sicht) Kniefall vor den Rädelsführern der »tschechischen Verräter«.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Engelbert Pernerstorfer läßt
sich in seiner Wortmeldung »mit Scham und Erbitterung über die
Knechtschaffenheit dieses Hauses«
– unter lebhaftester Teilnahme des-
selben – aus, das keiner einzigen §-14-Verordnung jemals die Geneh-
migung versagt habe; über Graf Stürgkh, »der wirklich viel mehr ein
Hochverräter und Staatsverräter war als alle von Militärgerichten Ver-
urteilten (Lebhafter Beifall und Händeklatschen)«, und kommt dann
auf die »§-14-Wirtschaft« im allgemeinen, daß Schindluder mit dem
Notverordnungsparagraphen getrieben wurde, zu sprechen: »Vom
Jahre 1897 angefangen haben wir eine Zeit gehabt, wo man überhaupt
keinen Österreicher hat finden können, höchstens einen irgendwo in
einem Amte verstaubten Hofrat, der behauptet hat, er ist ein Österrei-
cher, aber sonst hat man nirgends einen Österreicher gefunden; wir
waren Deutsche, Tschechen, Polen, was Sie wollen, aber Österreicher
hat es nicht gegeben. Es ist auch sehr natürlich, daß sich in diesem
Österreich niemand wohl gefühlt hat und diese Lust des Hochverrates,
von der so vielfach gesprochen wird, war in Österreich immer recht
lebhaft. Ich kann mich an meine Jugend erinnern, das ist ja alles schon
verjährt – und kann ruhig sagen, ich war in den 70 Jahren ein ausge-
machter Hochverräter. […] Was ein anständiger Mensch ist, meine
Herren, muß einmal in seinem Leben Hochverräter gewesen sein. (Leb-
hafter Beifall und Händeklatschen.)«96
Für derlei »Flaumacherei« setzt es prompt einen Rüffel von bundes-
brüderlicher Seite. In einem offenen Brief an den prononcierten Deutsch-
völkischen Ernst Graf zu Reventlow97
– den »ungekrönte[n] König des
Hurrah- und Heiioh-Deutschtums« und »Leitartikeleroberer Europas
samt umliegenden Ortschaften« – belustigt sich der »Morgen« über
den in der von Reventlow redigierten »Deutschen Tageszeitung« (deren
Motto: »Für Kaiser und Reich! – Für deutsche Art! – Für deutsche
Arbeit in Stadt und Land!«) erhobenen Vorwurf der »Preßtreiberei
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien