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Unernstes« beurlaubt wurde. Er hielt sich dann als Lektor des Kurt
Wolff Verlags und des S. Fischer Verlags in Leipzig und Berlin auf,
bevor er Ende 1916 nach ZĂĽrich ging, wo er sich bis September 1918
aufhielt. Kraus muß denn auch schmallippig einräumen: »Albert Ehren-
stein hat sich nie der geistigen Betätigung im Dienste der Kriegsschande
schuldig gemacht. Er hat ihr keinen Vers gewidmet«28 und: »Daß er
dann nicht für einen Kriegsdichter befunden wird, ist außer Zweifel«.29
Allerdings habe er dadurch, daĂź er beim Erscheinen dieser BĂĽcher nicht
mehr in Österreich ansässig war, den »Beweis, daß seine körperliche
Sicherheit durch seine Tätigkeit gefährdet war, nicht erbracht«.30 Über-
dies wolle Kraus den »allgemeinen lyrischen Pazifismus« von Ehren-
stein und Co. nicht mit seinem eigenen Kampf vergleichen, der in der
»zentralstaatlichen Literatur« einzig sei.31
Hugo Sonnenschein, von dem keine einzige kriegspropagandistische
Zeile bekannt ist, hatte den ganzen Krieg als Frontsoldat gedientÂ
– und
damit wohl in Krausscher Logik den Beweis erbracht, daß seine kör-
perliche Sicherheit gefährdet war.
Sei’s drum. Auch wenn der Vorwurf opportunistischen Verhaltens im
Krieg haltlos ist, denkt Kraus nicht daran, diesen zurĂĽckzunehmen und
sich zu entschuldigen. Er nimmt Ehrenstein und Sonnenschein vielmehr
als Repräsentanten des »politisch entzündeten Literatentums«32 in die
Pflicht und kanzelt sie in seltsam verquerer Logik eben als solche ab.
Läuft der Angriff auf die moralische Integrität ins Leere, verlegt sich
Kraus auf ästhetische »Argumente«, um die Widersacher, die es gewagt
hatten, seine AnwĂĽrfe abzuwehren, doch noch zu desavouieren und
am Ende doch recht zu behalten. Als Sonka einige von Kraus’ ironi-
schen Bemerkungen zu seinem expressionistischen Gedicht »Ekel vor
Europa«, das sich in erotischen Obsessionen ergeht, auf das Titelblatt
seines neuen Buchs setzen läßt, kommt Kraus im Januar 1920 nochmals
darauf zu sprechen, indem er es als »eines der bemerkenswertesten
Kriegsgreuel, die die Literaten in jener Ära verübt haben«,33 bezeichnet.
Was bleibt also vom Vorwurf opportunistischen Verhaltens im Krieg?Â
–
Kraus mag die Lyrik Sonnenscheins und Ehrensteins nicht!
In Beweisnot, aber nie um eine Finte verlegen, verlagert Kraus das
Kampfgeschehen auf einen Nebenschauplatz. Statt die Diffamierungen
zurückzunehmen, »erledigt« er im Juli 1920 mit dem Aufsatz »Ein
neuer Mann«34 Georg Kulka, einen jungen Lyriker aus dem Umfeld des
Genossenschaftsverlags und Sympathisanten der ungarischen Räte-
republik, den er eines Plagiats an Jean Paul bezichtigt – nicht ohne am
vermeintlich schlampigen Verhältnis der literarischen Avantgarde zum
geistigen Eigentum deren Naheverhältnis zum Kommunismus ursäch-
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter SchĂĽbler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien