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Kraus-Jünger nahmen die Verdikte als unumstößliche Wahrsprüche,
ihnen wäre es vermessen erschienen, diese höchstinstanzlichen Ver-
urteilungen in Zweifel zu ziehen. Tatsächlich liefen Gerüchte um,
Kulka wie auch Ehrenstein trügen sich mit Suizidabsichten.
Anton Kuh hatte sich bei den an die Literaten, die im Kriegsarchiv
Dienst getan hatten, adressierten Vorhaltungen Kraus’ gewundert,
warum diese einer völlig überkommenen »Begriffsetikette ihre Ehren-
bezeugung« nicht verweigerten und sich einem Ehrenkodex unterwar-
fen, der zwar längst desavouiert war, in seiner Phrasenhaftigkeit aber
fröhliche Urständ’ feierte. Warum läßt man sich – nach dem Welt-
krieg – noch an Maximen messen wie: »›Wer seinen Leib nicht als
Sklave des Staates hinopfert, ist ein Feigling!‹« oder »›Wer schwieg, um
sein Leben zu retten, und zu sprechen anfing, als er gerettet war, ist ein
Maulheld!‹«? Warum läßt man sich noch immer gängeln mit Begriffen
wie »Heldentod«, »Patriotismus« und »Hochverrat«, und warum will
keiner »begreifen, daß es nicht darauf ankommt, ob der Heldentod fürs
Vaterland ein zweckloses Opfer, der Patriotismus eine großösterreichi-
sche Erfindung und der Hochverrat ihre Richtigstellung war
– sondern
darauf, daß der Heldentod schlechterdings ein Wahnsinn, Patriotismus
ein Aberwitz und Hochverrat ein Nonsens ist, daß die Begriffe als solche
und nicht ihr Gelegenheitswert fallen müssen, wenn einmal die Luft rein
werden soll«. Aber: »Das Überleben der Phrase bewahrt die Menschen
vor der Gefahr einer Vereinfachung des geistigen Austausches, die unter
anderem zwei Drittel aller Polemik aus der Welt schaffen würde. Was
sollten sie einem ›Drückeberger‹ sagen, wenn das Drückebergern auf-
hört, ein Schimpf zu sein?«
Statt klipp und klar zu sagen: »Ich fand es nicht für ratsam, mich in
eine Tranchiermaschine stopfen zu lassen, deren Zwecke ich nicht ein-
sah« und: »Ehrlich gestanden hab’ ich mich seinerzeit nach allen Regeln
der Kunst aus dem Militärdienst hinausgeschwindelt«, lasse man sich
von einem Satiriker beschämen. »Statt zuzugestehen: Erstens bin ich
kein Märtyrer. Zweitens nicht für etwas, was nur in der Einbildung des
Volksschullesebuches besteht. Drittens hab’ ich deshalb geschwiegen.
Und viertens mach’ ich deshalb jetzt mein Maul auf – stolpert er über
polemische Lassos.«47
1919 – 1920
Am 18. Dezember 1919 zieht Kuh in Prag vor einem enthusiasmierten
Publikum über die bürgerliche Sexualmoral, die doppelte Buchführung
in Sachen Moral vom Leder oder, mit den Rezensenten gesprochen,
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien