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mationen und Marschmelodien miterlebt: »Nun hat der letzte Akt dieser
fürchterlichen Operette ausgespielt. Der Ausgang ist diesmal definitiv
tödlich, aber bis zur Estrade, auf der der Henker wartet, immer noch
Operettenzauber, tragikomischer Singsang. In den Straßen, auf den Plät-
zen Wiens lauert der Tod, brüllen die Massen: Heil Hitler, Heil Schusch-
nigg! Am Mikrophon schreit, nein stottert ein geängstigter Speaker,
und dann auf einmal erstirbt das Grauen. Kein Fading, keine Fehlüber-
tragung, nein: An der schönen blauen Donau, Wien bleibt Wien …«27
Im Feber und März 1938, in den fünf kritischen Wochen, in denen
die »Operette mit tödlichem Ausgang« ihrer Peripetie entgegenrast,
pendelt Kuh, der für ein (bislang nicht identifiziertes) »Prager Finanz-
blatt« über die dramatischen Ereignisse in Österreich resp. zwischen
Österreich und dem Deutschen Reich berichtet,28 mit der Frequenz
eines Schlafwagenschaffners zwischen Wien und Prag.
Sein Paß trägt Stempel vom 2. Feber (Abreise von Wien); 11. Feber
(Ankunft); 15. Feber (Abreise); 16. Feber (Ankunft); 20. Feber (Abreise);
24. Feber (Ankunft); 25. Feber (Abreise); 26. Feber (Ankunft); 28. Fe-
ber (Abreise); 9. März (Ankunft); 11. März (Abreise) – Weg marken
fast allesamt: Am 2. Feber dringen Gerüchte an die Öffentlichkeit, in
den Wiener Büros der illegalen Nazis seien vor kurzem Pläne für eine
Verschwörung gegen die Regierung entdeckt worden, die die Unter-
schriften von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß tragen, was allerdings
aus diplomatischen Rücksichten nicht an die Öffentlichkeit gelangt war
(der sogenannte Tavs-Plan, das Aktionsprogramm eines NS-Staats-
streichs, trägt die Initialen R. H.); am 12.2.1938 findet die Unterredung
zwischen Adolf Hitler und Kurt Schuschnigg auf dem Obersalzberg in
Berchtesgaden statt, bei der der österreichische Bundeskanzler unter
massiven Drohungen den Forderungen des deutschen Reichskanzlers
nachkommt (sogenanntes »Berchtesgadener Abkommen«), darunter:
Amnestie für alle Nationalsozialisten, freie Betätigung der NSDAP,
Übertragung des Sicherheitsressorts an den Nationalsozialisten Arthur
Seyß-Inquart, Absetzung des österreichischen Generalstabschefs, Al-
fred Jansas, eines vehementen Befürworters militärischen Widerstands
im Falle deutscher Aggression; am 16. Feber wird Seyß-Inquart im
Rahmen einer Regierungsumbildung Innenminister; am 20. Feber gibt
Hitler in einer Rede vor dem Deutschen Reichstag, die im österreichi-
schen Rundfunk übertragen wird, kaum verhohlen zu verstehen, daß er
»Deutsch-Österreich« heim ins Reich holen werde; am 24. Feber kün-
digt Schuschnigg in einer Rede vor dem Bundestag, dem »Parlament«
des Ständestaats, an, die Unabhängigkeit Österreichs werde mit allen
Mitteln verteidigt: »Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot!«; am 9. März gibt
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien