Page - 320 - in Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
Image of the Page - 320 -
Text of the Page - 320 -
ßen, die Möglichkeit der gleichberechtigten Teil-
habe an der Wissenschaft. Dieser Weg war und
ist lang und mühsam und daher sind bis heu-
te von Wissenschaftlerinnen kaum künstlerische
Abbildungen vorhanden und erst recht keine
Denkmäler, die der nachfolgenden Frauengene-
ration Wegzeichen sein könnten.
Als ich 1989 meine Tätigkeit als Kustodin be-
gann, zählten zum Kunstbesitz der Humboldt-
Universität fast 400 Kunstwerke, die Wissen-
schaftler der Universität darstellen, Denkmäler,
Büsten, Gemälde, Zeichnungen, aber kein ein-
ziges Abbild einer Wissenschaftlerin. Nur eine
gemeinsame Gedenktafel für Otto Hahn und
Lise Meitner erinnerte am ehemaligen Chemi-
schen Institut an die gemeinsamen Experimente
der beiden Wissenschaftler in der Holzbaracke.
Seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhun-
derts wurde im Flur vor dem Arbeitszimmer des
amtierenden Rektors eine Reihe von Gemälden
ehemaliger Rektoren der Universität präsentiert.
Anfang der 90er-Jahre wollte ich wenigstens mit
Fotografien auf besondere Frauen der Universi- tät aufmerksam machen. Doch schon die Foto-
recherche gestaltete sich schwierig und nicht sel-
ten erfolglos: Frauen waren in der öffentlichen,
aber auch historischen Präsentation der Univer-
sität nicht sichtbar.
Darüber hinaus lehrten mich die folgenden
Jahre, dass es noch Jahrzehnte dauern würde, bis
es auch von Wissenschaftlerinnen eine nennens-
werte Anzahl künstlerischer Abbildungen geben
wird.
Als langjährige nebenamtliche Frauenbeauf-
tragte der Humboldt-Universität war es für mich
eine herbe Erkenntnis, dass das wissenschaftliche
Œuvre von Frauen – der Gegenwart wie der Ver-
gangenheit – keine adäquate künstlerische Prä-
senz findet, obwohl schon seit den 20er-Jahren
des 20. Jahrhunderts Frauen sich zunehmend
auch an der Berliner Universität wissenschaftlich
etabliert hatten. Unter diesen Ausnahmefrauen
ragte Lise Meitner besonders hervor.
Daher entschloss ich mich 2006, der Uni-
versitätsleitung den Vorschlag zur Errichtung ei-
nes Denkmals für Lise Meitner zu unterbreiten.
lise meitner – vom hintereingang zum hauptportal
Für die Berliner Universität, die heutige Hum-
boldt-Universität zu Berlin, hat Lise Meitner, die
eine Reihe von Isotopen entdeckte und mit ihrer
experimentellen physikalischen Grundlagenfor-
schung maßgeblich zur Erschließung neuer Wis-
senschaftsgebiete beitrug, eine besondere Bedeu-
tung: 1912 war sie die erste weibliche Assistentin
der Berliner Universität und Preußens, 1922 ha-
bilitierte sie sich als erste Physikerin Deutsch-
lands an unserer Universität und 1926 erhielt sie
hier ihren Ruf als ao. Professorin für experimen-
telle Kernphysik. Damit war sie die erste Profes-
sorin der Berliner Universität und die erste Pro-
fessorin für Physik in Deutschland (Abb. 2).
Der Beginn ihrer wissenschaftlichen Lauf-
bahn war exemplarisch für bildungshungrige
Frauen in Deutschland wie auch in Österreich.
1901, mit 23 Jahren, studierte sie als zweite Frau an der Wiener Universität Physik, promovierte
hier bei Ludwig Boltzmann und war gemeinsam
mit einer weiteren Promovendin damit die zwei-
te Frau im Fach Physik. Angetan von den Gast-
vorlesungen Max Plancks an der Wiener Univer-
sität wollte sie 1907 für einige Semester in Berlin
studieren. Doch dann begann sie als „unbezahl-
ter Gast“ ihre Zusammenarbeit mit dem Chemi-
ker Otto Hahn in der zum Labor umgerüsteten
Holzwerkstatt des Chemischen Instituts der Ber-
liner Universität. Da es zu dieser Zeit in Preußen
Frauen noch untersagt war zu studieren, musste
sie sich damit einverstanden erklären, die Labor-
räume des Instituts nicht durch die Vorder-, son-
dern nur durch die Hintertür zu betreten.
In den Folgejahren machten die beiden Wis-
senschaftler gemeinsam spektakuläre Entdeckun-
gen, wofür 1919 beide erstmalig für den Nobel-
angelika
keune320
Open Access © 2018 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
back to the
book Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa"
Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken