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Denkmäler im Ehrenhof. Auch Helmholtz hat
seine Hand zum Dozieren erhoben, beide, Meit-
ner wie Helmholtz, schauen ernst und ruhig, be-
dachtsam scheinen sie ihr Wissen den Zuhörern
weiterzugeben. Durch eine kleine Drehung des
Kopfes zum Eingang wendet sich die Skulptur
dem eintretenden Besucher zu. Nicht nur durch
die Darstellung des Rockes, dessen Herausarbei-
tung Bewegung, aber auch Anmut in die Figur
bringt, ist die Plastik erkennbar weiblich. Auch
die Zartheit der Darstellung betont das Weib-
liche. Von großen Teilen des Preisgerichts wur-
de die Ausführung als zu konventionell bewer-
tet und die Befürchtung geäußert, dass sich die zierliche Plastik nicht gegen die imponierende
Ausstrahlung der anderen Denkmäler behaup-
ten könne.
Das dritte Modell, von der Künstlergrup-
pe Mitra Wakil und Fabian Hesse aus Mün-
chen, stellt einen Ausbruch aus der figürlichen
Konvention bildhauerischer Arbeit dar (Abb.
10). Nicht in erster Linie durch die Darstellung
der Figur, obwohl ihre nicht völlig motivierte
Schräglage auch gegensätzlich interpretiert wer-
den kann – ist es Selbstbewusstsein, Lässigkeit
oder Unsicherheit? Nein, was hier die bildhau-
erische Konvention sprengen würde, wäre die
angewendete Technik. Die Figur sollte mit 3D-
Ausdruck in grau-blauem Kunststoff, vermischt
mit Marmorpartikeln, ausgeführt werden, eine
neuartige Technik, die auf die innovativen Ent-
deckungen und Gedankenmodelle der Physike-
rin hinweisen soll. Wie aber ist die verwendete
Technik am fertigen Kunstwerk ohne zusätzliche
Erklärung noch ablesbar? Absicht der Künstler
war es, Kopf und Hände auf der Grundlage von
Fotografien naturalistisch abzubilden, während
andere Teile der Figur als „flüchtiges Rauschen
der Partikel … bewusst verunklart“6 bleiben soll-
ten. Eine Ewald Mataré zugeschriebene Äuße-
rung, dass die einfachste und zugleich schönste
Skulptur der Abdruck eines menschlichen Fu-
ßes im Sande sei, klingt hier an und wird kon-
frontativ einzelnen unbestimmten Formen wie
den Marmorrollen, die von einem XYZ-Koor-
dinatensystem inspiriert sind, oder der nicht nä-
her definierbaren Sitzgelegenheit gegenüberge-
stellt. Alle diese Gegenstände sind Bestandteil
einer plastischen Szene, von der die Betrachter
entscheiden müssen, inwiefern sie miteinander
korrespondieren.
Das vierte Modell, der Entwurf des Erfur-
ter Künstlers Thomas Nicolai, präsentiert ei-
ne auf einer Bank sitzende Marmorfigur (Abb.
11). An der Bank ist ein wolfartiges Tier erkenn-
Abb. 9: Modell von Marie Luise Bauerschmidt, Berlin, ein-
gereicht zum Kunstwettbewerb für das Lise-Meitner-Denk-
mal im Ehrenhof der Humboldt-Universität zu Berlin 2013.
angelika
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6 Bericht der Vorprüfung zur Sitzung des Preisgerichts am 18. 6. 2013, Berlin, Nichtoffener Kunstwettbewerb für das
Lise-Meitner-Denkmal im Ehrenhof der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2013, Einzelbericht 1003.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken