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48 DieurbaneErfahrunginWien,BudapestundNewYork
chiediezweitgrößte.52DieLeopoldstadterhieltdenBeinamen„Mazzesinsel“53
undJosephRothsprachvonderLeopoldstadtals„freiwilligesGhetto“.Hier,
zwischenPraterundKaiser FerdinandNordbahnhof, soRoth, könntendie
vomOstenkommendenjüdischenMigrant*innenvomFrohsinnleben.54Sie
lebtenabernichtabgeschlossen. IhrAlltagunddieUnterhaltungskulturfanden
nicht in isolierten ‚Milieus‘ statt.55ZumLeben inmeistnurallzuärmlichen
Verhältnissengehörte auch„Musik zumachen, tanzenundTheaterspielen“
odereinBesuchimPrater.
Allgemeinspielte sich jüdischesLebeninWienwieauchinBudapestund
NewYorknichtabgeschlossenab: JüdinnenundJudenwohnten inWiennicht
exklusivinderLeopoldstadt,sondernebensoinallenanderenStadtteilen.56Die
LeopoldstadtwarallerdingsjenerGemeindebezirk,deraufgrundseinerstarken
Verbindungzur jüdischenMassenmigrationder Jahrhundertwendeauch in
derGegenwartnochimmeramstärkstenmit jüdischemLebenverbundenist.
WiedieGesellschaftWiensplurikulturellwar, sowardasauchdievermeintlich
undnurzuhäufigkollektivierte ‚jüdische‘Bevölkerung.57
NebenpositivenBeispielenfandensichauchimmerwiederBerichteüber
Konflikte indiesenplurikulturellenVerhältnissen.Diesogenannte„amerika-
nischeBevölkerung“etwastandden(jüdischen)Migrant*inneninNewYork
nichtausschließlichpositivgegenüber.Baldberichteten jüdischeTageszeitun-
gen vonVorbehalten, die nicht religiöser, sondern „ethnologischer“Natur
gewesenseien.Folgendesschriebetwader JewishMessenger imJuni1881.Als
tolerantgegenüberReligionen, jedochweniger tolerantgegenübervermeintli-
chensozialenCharaktereigenschaftenstündendieAmerikaner*innenJüdinnen
undJudengegenüber:
TheordinaryAmericancitizen lookson the Jewish religionwith tolerant curiosity, but
not with condemnation; norwould he hesitate to sit atmeat with aMohamedan out
52 DerZensus inderHabsburgermonarchieunterschiedSprachgebrauchundReligion.Damit
istnatürlichklar,dass JüdinnenundJudenzuallenSprachgruppenzählenkonnten. Inden
Angaben,dieImmigrant*inneninEllis Islandmachenmussten,wurdezwischenReligionund
HerkunftwieauchnachSprachedifferenziert.ZujüdischenMigrant*innenausGalizien in
WiensieheHödl,AlsBettler indieLeopoldstadt, 129–162;MarshaRozenblit, „ANoteon
GalicianJewishMigrationtoVienna“,AustrianHistoryYearbook19(1983):143–152.
53 RuthBeckermann,DieMazzesinsel: Juden inderLeopoldstadt1918–1938(Wien:Löcker,
1992),9.
54 JosephRoth, JudenaufWanderschaft[1927](München:Dtv, 52015),52.
55 KlausHödl,GalizischeJudenundJüdinneninWien:EinigeGründefürderenStereotypisie-
rung, in:ElisabethRöhrlich(Hg.),MigrationundInnovationum1900:Perspektivenaufdas
Wiender Jahrhundertwende(Wien,Köln,Weimar:Böhlau,2016),221–241,234.
56 Hödl,AlsBettler indieLeopoldstadt,10–20.
57 Hödl,GalizischeJudenundJüdinneninWien,225–230.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur