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Singspielhalle,VarietéundEtablissement 97
HilfsvereinenfürMigrant*innen,dieganzeAufführungenalsBenefizveranstal-
tungenaufkauftenundsomit subventionierten,hättendieAufführungennur
die jüdischenMigrant*innen interessiert.193Bei einemnäherenBlick indie
BerichterstattungüberdieAufführungenergibt sichallerdingseindifferenzier-
teresBild:Migrant*innenwieNichtmigrant*innen, JüdinnenundJudenund
NichtjüdinnenundNichtjudenbesuchtengemeinsamdieAufführungen.Und
auchwenndiehäufigineinerspäterenBeschreibungderbuntenkulturellen
SzenebeigefügtenAttribute–„jiddisches“Theater, etc.–anderessuggerieren,
warendieTheaterundSpielstättennichtchronologischaufeinanderfolgende
kulturellhomogeneRäume.
Das erste sogenannte „jiddischeTheater“, das in New York gegründet
wurde,war dasGrandTheatre ander Bowery 225,Grand Street undEcke
Chrystie Street.194 Über die Jahre entstanden das WindsorTheatre, das
ThaliaTheatreundschließlichdasPeople’sTheatre.195Letzteresübernahmen
Jacob Adler (1855–1926) und BorisThomashefsky (1868–1939) von Tony
Pastor (1837–1908)undseiner„travelingcompany“.Die jiddischenTheater
entstandenanderBowery inTheatern,diezuvorals irischeunddeutscheund
danachals italienischeundchinesischeTheater geführtwordenwaren.Die
jiddischeDramatikvorder JahrhundertwendeschöpfteausdemErbedesPu-
rimspiels (traditionellerpopulärerVolksstücke,dieEsthersTriumphüberden
Erzfeindder JudenHamanerzählen)undentwickelte sichentlangderWerke
derdreigroßenjiddischenLiteratenScholemAlejchem (1859–1916), Jizchok
LeibPerez (1852–1915)undMendeleMoicherSforim(1835/6–1917).196 In
NewYorkprägtenvorallemdieWerkevonBorisThomashefskyundJoseph
Lateiner ihreDramaturgie.197
DasPeople’sTheatrewar das einzige unter den vier jiddischenTheatern,
das,wie häufig argumentiertwird, aufgrund seiner überdurchschnittlichen
OffenheitgegenübereinembreiterenKanonpopulärerStückealseinzigesnicht
193 Gorin,Digeshikhte funyidshenteater2,178–180.Thissen,Reconsidering,182.
194 EswardasersteTheaterNewYorks,dasspezifischals jiddischesTheatergebautwurde.Es
eröffnete1903,zueinemZeitpunkt, andemderHypeumdieMusicHalls schonbegonnen
hatte.Nahshon,Overture,32und43.Thissen,LiquorandLeisure,184–185.
195 ZuderEtablierungdereinzelnenTheatersieheThissen,Reconsidering,175–180.
196 AlsbiblischesThemain(religiös-)populärerUnterhaltungundsehrbeliebtesMotiv istdie
GeschichtevonEstherundHamam,derTriumphder JudenimbabylonischenExil, anden
Purimerinnert.ZumMotivdesPurimspiels imTheatersieheShariTroy,OnthePlayandon
thePlaying:TheatricalityasLeitmotif in thePurimshpilof theBoboverHasidim(Ungedr.
Diss.:CityUniversityNewYork,2002).
197 NahmaSandrow,PopularYiddishTheatre:Music,MelodramaandOperetta, in:EdnaNah-
son(Hg.),NewYork’sYiddishTheater:FromBowery toBroadway(NewYork:Columbia
UniversityPress, 2016), 64–83, hier 64–72.ZuThomashefsky sieheBorisThomashefsky,
Maynlebns-geshikhte [MeineLebensgeschichte] (NewYork:TrioPress,1937).
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur