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findet das Sprichwort, dass ‚derProfet in seinemVaterlandenichts gilt‘ die
vollsteBerechtigung,unddaherkommtesauch,dassArtistenwelcheoftdurch
u[nd]durchDeutschesind,gezwungenwerdenunterausländischerFirmazu
arbeiten“[!],berichteteKarlKutschera, einKennerderSzene.12
Esmusste regelrecht derTraumvonKünstler*innen sein, in einEngage-
mentaußerhalbderHeimatgerufenzuwerden.DiesesDiktumnahmArthur
Schnitzler (1862–1931)zumAusgangspunkteinerErzählung,dieer1895mit
demTitelDer Empfindsame – eine Burlesque zu Papier brachte. Schnitzler
nahmdieLebensgeschichteeinerSängerinzumAnlass,Einblick inpotentielle
Sängerkarrierenumdie Jahrhundertwendezugeben:Die jungeFrauundihre
LeidenschaftfürdieVarietékunst sindderGrunddafür,dassder„armeFritz
Platen“sichseinLebennimmt,nachdemereinenBriefvonseinerLiebegelesen
hat.DerBrief beginntmit denWorten: „EineReisetasche stehtnebendem
Bett,undimVorzimmerrumortMama,packtnoch,dennmorgenFrüh,Fritz,
[…]morgen früh reisenwir ab,Mamaund ich, und in achtTagen steh ich
das erstemal aufderBühne. Ja, Fritz, ichhabeinEngagement.“13Die junge
Frau,die inSchnitzlersErzählung ihremLiebhaber zumAbschied schreibt,
studiertGesang bei vielen Lehrenden.Die ganzeMühehat ihr aber nichts
geholfen,dennsiehat ihreStimmevermeintlichunwiederbringlichverloren.
SiesuchteinenArztnachdemanderenauf,dochkeinerkannihrhelfen;bis
der„24.Arzt“ ihr„einenLiebhaber“verschrieb.KeineandereRettung ihrer
Karrieresehend,kommtsiedieserEmpfehlungnach.AmHeimwegvon„Arzt
24“erblicktsieaufderTerrassedesCaféImperialsFritz,derauchunverzüglich
anihrGefallenfindet.DiebeidendurchlebeneineerfrischendeRomanze,die
allerdingseinenbitterenBeigeschmackhat,nämlich,dassnurdieSängerinum
derenVergänglichkeitweiß.Mit jederZärtlichkeit,die siemitFritzaustauscht,
komme ihreStimmeeinStück zurück.BeimnächstenVorsingen schonbe-
kommtsieunverzüglicheinEngagementauf„drei Jahremit steigenderGage
fürerstePartien“angeboten.14
SchnitzlerumrissmitderErzählungDerEmpfindsamevieleDiskurseum
SängerinneninderpopulärenKultur:vonderWichtigkeit, einEngagementzu
bekommen,überdiedamitunabdingbarverbundeneReisetätigkeit,bishinzu
Rollenbildernwieder„Chantant-Mutter“,die ihreTochterbegleitenmusste,
umzuverhindern,dassdiesealleine reist, undschließlichdasBildderSou-
brette,dienurauf ihreKarrierebedacht,MännerndasHerzbricht.Aufeiner
anderenEbenedeuteteSchnitzleraberauchaufdasdahinterstehendeVorurteil
12 KarlKutschera, „ArtistenNamen“, IAR,1.4.1894,1–2.
13 ArthurSchnitzler,DerEmpfindsame[1895], in:ders.,DiegriechischeTänzerin:FrüheErzäh-
lungen(Berlin:VerlagderNation,1985),78–85,80.
14 Schnitzler,DerEmpfindsame,78–85.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur