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MännlicheDamen,weiblicheMänner 147
Traurigwirdman,wennmanandiesenschönen,dunklen,schwarzlockigenManndenkt,
dernunwohlauchinAmerikavieleMenschenundvorallemvieleMädchenbegeistert,
wennerindenAbendstundeninseinemfinsterenHotelzimmersicheinschließtundmit
zitternderwundervoller Stimme […] die herrlichsten jüdischenVolkslieder erklingen
läßt.[!]121
Der letztevermeintlichauthentische jüdischeVolkssängersei erdeshalbgewe-
sen,weil imZugederneuenMobilitätdie„jüdischenVolkssänger“zuWelten-
bummlernwurden:„Undwelcheinechter,herrlicherZigeunerister!Manfindet
ihn inWien, inBerlin, inParisundLondon–,undvordemKriegwarer in
New-York,[…]“.122DerPrototypdes(‚jüdischen‘)Volkssängerswarfolglichein
Reisender,dergekonntverschiedeneFertigkeitenvereine.123Undauchdieser
vielleicht letzte jüdischeVolkssängerbeherrschtedasVermischenbestimmter,
genrespezifischerFertigkeiten.LeoRosenstein(1861–1921),vondemNadel
wiederumals letztemjüdischenVolkssänger sprach,warbesserbekanntals
LeoStein.ErschriebdieTextezubekanntenOperettenwiederLustigenWitwe,
derCsárdásfürstinundWienerBlut.ErarbeitetemitFranzLehár (1870–1948),
JohannStrauss (1825–1899),Bela Jenbach (1871–1943),EmmerichKálmán,
RobertStolz (1880–1975)undFritzGrünbaum (1880–1941)undauchEdmund
Eysler (1874–1949)aufden„Brettln“zusammen.UndvieleandereEtablisse-
mentsadaptiertenseineTexte.124
Gerade aber gegendieseKombinationverschiedener künstlerischerAus-
drucksformenverwehrte sich JosefKoller in derBeschreibungderWiener
Volkssänger*innen.Traditionellerweise, soKoller inseinemFührerzumVolks-
sängertum,warenKomikerkeineVolkssänger„imwahrenWortsinne“.Seine
Argumentationwar jedochwidersprüchlich.DenndieKomiker, soKollerwei-
ter,hättendurch ihrwiederholtesAuftreten imVarietéundmit ihrenLiedern,
Couplets undSoloszenen „weitesteVolkstümlichkeit“ erlangt.125MaxRott,
lied fürdas JüdischeLexikon.Was ein jüdischesVolkslied alles seinkonnte,war ebenso
diffus.Angemerktseiallerdings,dassetwadas jüdischeLexikondarunternichtzwingend
ausschließlichdasreligiöseVolksliedverstand.EinederdreimöglichenArtendes jüdischen
Volksliedesseidas„coupletartige“.Nadelverortetdieses inderBadchanim-Dichtungund
nenntdas Jiddischeals einenAspekt.ArnoNadel, JüdischesVolkslied, in:GeorgHerlitz,
BrunoKirschner(Hg.), JüdischesLexikon:EinenzyklopädischesHandbuchdes jüdischen
Wissens invierBänden,4(Berlin: JüdischerVerlag,1930),1239–1241,1239–1240.
121 ArnoNadel, „JüdischeVolkslieder:ReligiöseLieder“,DerJude,eineMonatsschrift1,no.7
(1916):465–479,469.
122 Ebda.
123 DenReferenzenausdemjüdischenVolksliedistgemein,dassFrauennichtzudiesemPrototyp
zählen.
124 R.Müller, LeoStein, in:ÖsterreichischesBiographischesLexikon13, 1815–1950 (Wien:
VerlagderösterreichischenAkademiederWissenschaften,2010),151.
125 Koller,DasWienerVolkssängertuminalterundneuerZeit,185.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur