Page - (000698) - in Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Image of the Page - (000698) -
Text of the Page - (000698) -
Gesellschaftliche Risikokonstellation für autonomes Fahren – Analyse,
Einordnung676
Endlager Gorleben, darüber hinaus aber auch beträchtliche und wachsende Teile der deut-
schen Bevölkerung.
Die Kernenergie ist eine typisch lebensweltferne Technologie. Auch wenn von dem
erzeugten Strom viele profitieren, ist die Quelle des Stroms nicht sichtbar, wie die Rede-
weise zeigt, dass „der Strom aus der Steckdose“ komme. Die Möglichkeit eines GAU mit
katastrophalem Schadenspotenzial, wie etwa in Tschernobyl und Fukushima real gesche-
hen, die Tatsache, dass deswegen keine Versicherungsgesellschaft bereit war und ist, die
Risiken der Kernkraftwerke zu versichern, die radioaktiven Hinterlassenschaften, die für
eine extrem lange Zeit Belastungen erzeugen – all dies zeigt, dass die Risikokonstellation
der Kernenergie eine absolut andere als die des autonomen Fahrens ist. Nur in einem Punkt
könnte gelernt werden:
Die frühe Kernenergiedebatte in Deutschland war geprägt von einer Arroganz der Ex-
pertinnen und Experten, die damals fast sämtlich Kernenergiebefürworter waren, gegen-
über Kritik. Sorgen aus der Bevölkerung wurden nicht ernst genommen, sondern Kritiker
wurden als irrational, vorgestrig oder unwissend dargestellt [14]. Auf diese Weise wurde
Vertrauen in mehrfacher Hinsicht verspielt: Vertrauen in das Geflecht aus Experten, Wirt-
schaft und Politik, das hinter der Kernenergie stand, Vertrauen in das Funktionieren demo-
kratischer Prozesse und Vertrauen in das Expertentum in diesem Feld, aber auch darüber
hinaus. Man kann aus der Risikodebatte zur Kernenergie lernen, wie wichtig Vertrauen in
Institutionen und Personen ist, und wie rasch dieses verspielt werden kann.
Grüne Gentechnik
Die Risikokonstellation in der Debatte zur Grünen Gentechnik ist in anderer Hinsicht inte-
ressant. Trotz einer rhetorischen Fokussierung auf Risiken, z. B. durch Freisetzung und
unkontrollierte Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen, ist das eigentliche The-
ma weniger die konkrete Größe dieses Risikos, sondern eher die Verteilung von Risiken
und Nutzen. Denn der Endverbraucher hätte (anders als bei der Gentechnik für medizini-
sche Zwecke) keinen ersichtlichen Nutzen aus gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln.
Bestenfalls wären die gentechnisch veränderten Nahrungsmittel nicht schlechter als die
traditionell erzeugten. Der Nutzen käme vor allem den Lebensmittelkonzernen zugute. In
Bezug auf mögliche gesundheitliche Risiken (z. B. Allergien) sähe es jedoch gerade anders
aus: Sie würden die Nutzerinnen und Nutzer betreffen. Das ist natürlich für diese eine
schlechte Bilanz: vom Nutzen ausgeschlossen, aber möglichen Risiken ausgesetzt. Diese
Sicht dürfte eine plausible Erklärung für mangelnde Akzeptanz sein und die Lehre erlau-
ben, beim autonomen Fahren nicht nur auf abstrakten Nutzen (z. B. für die Volkswirtschaft
oder die Umweltbilanz) abzuheben, sondern den Nutzen für die „Endverbraucherinnen und
-verbraucher“ in den Mittelpunkt zu stellen.
Ein Zweites kommt hinzu: Der Versuch der Lebensmittelkonzerne, vor allem von
Monsanto, die Grüne Gentechnik mit Macht in Europa durchzusetzen, hat gerade das
Misstrauen und den Widerstand beflügelt. Druck und massiver Lobbyismus führen in sen-
siblen Bereichen wie bei Nahrungsmitteln zur Sensibilisierung der Verbraucherinnen und
Verbraucher und zu Misstrauen. Ein „Durchdrücken“ von neuen Technologien in lebens-
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Gefördert durch die Daimler und Benz Stiftung