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123Die
Bautätigkeit Herzog Leopolds VI.
mitgebracht hatte411. Eine Besonderheit der Klosterneuburger Kapelle war die
Westempore. Sie bot der Herzogsfamilie einen besonders bevorzugten Platz für
Reliquienandachten , denn von der Empore aus konnte der gesamte Laufgang ,
auf dem die Heiltümer aufgestellt waren , überblickt werden. Wenn man Renate
Wagner-Rieger folgt , die das Element der Westempore als den einzigen boden
ständigen Gestaltungsfaktor an der Capella Speciosa ansah412 , liegt die Annahme
nahe , dass diese Einrichtung einem ausdrücklichen Wunsch Leopolds VI. ent-
sprach. Auch schien die Umsetzung dieses Auftrages den Baumeistern in Bezug
auf die Fundamentierung , den Zugang und die Überwölbung Schwierigkeiten
gemacht und zu Unregelmäßigkeiten der Anlage geführt zu haben. Es darf aber
nicht übersehen werden , dass sich die Westempore der Capella Speciosa in der
Gesamtheit ihrer Anlage grundlegend von sämtlichen Herrschaftsemporen in
Burgkapellen ( Rauheneck ) oder Kirchen ( St. Gertrud in Klosterneuburg , Lieb-
frauenkirche Wiener Neustadt , Pfarrkirche Bad Deutsch Altenburg ) der Baben-
bergerzeit unterscheidet , die man zum Vergleich herangezogen hat. Die Empore
der Pfalzkapelle ragt weder in der Art eines Balkons in den Andachtsraum vor ,
noch wird sie von einem Gewölbe über einem Raumabschnitt getragen , der zum
Kapelleninneren gehört. Bei der Capella Speciosa gehört dagegen der Bereich
unterhalb der Empore zur Kapellenvorhalle und ist vom Hauptraum der Kapel-
le durch eine Torwand mit dem Trumeauportal getrennt. Der Westbereich der
Pfalzkapelle ist daher wie eine doppelgeschossige Kapelle anzusehen , die an den
Saalbau angefügt ist. Auch in der Außenansicht , die Benedikt Prill überliefert
hat , unterschied sich der blockhafte , gering durchfensterte Westbau markant
vom Skelettbau des Langhauses.
Wie architekturikonologische Untersuchungen gezeigt haben , hatte das Bau-
motiv der doppelgeschossigen Kapelle über axialem Grundriss seit dem 12. Jahrhun-
dert durch die Kreuzfahrer verstärkt Bedeutung erlangt. Vorbild war die Kapel-
le des Coenaculums am Berg Sion in Jerusalem , der überlieferte Ort des Letzten
Abendmahles , der in der örtlichen Liturgie eine hervorragende Rolle spielte413 und
in seinem religiösen Bedeutungsrang einzig von der Anastasis ( Auferstehungskir-
che ) noch übertroffen wurde. Seit dem Verlust des Besitzes der Stadt Jerusalem an
die Muslimen nach der Schlacht von Hattin ( 1187 ) suchte man verstärkt , durch
den Bau doppelgeschossiger Bischofskapellen an französischen Kathedralen ( Nôt-
re-Dame in Paris , Reims ) die Erinnerung an das verlorene Heiligtum des Abend-
mahlssaals wach zu erhalten414. Wenn tatsächlich Herzog Leopold VI. persönlich
den Einbau einer Westempore in der Capella Speciosa gefordert haben sollte , so
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Title
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Author
- Mario Schwarz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur