Page - 338 - in Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
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Ein Streifzug dies- und jenseits der Tauern.
Es wurde dem Wecker bedeutet, er solle sogleich einspannen.
Man gab noch einige Minuten zu, ehe man sich vom Lager, wenn
es auch nur ein Heulager war, trennte, endlich erhob sich Gestalt um
Gestalt. Da rief eiuer der Reisegefährten, der seine Schnürstiefel ohne
Licht nicht zuzuschnüren vermochte, um Licht. Der Kutscher kam mit
der Laterne, man blickte auf die Uhr uud — sie zeigte 1 Uhr. Die-
selbe Stunde wies die zweite zu Rath gezogene Uhr, Sogleich wurde
ein Lcidensgenosse abgeschickt, um sich Gewißheit über die Stnnde des
Morgens oder der Nacht zu verschaffen, und er brachte die Nachricht
zurück, daß zwar Mondlicht, aber keine Spur vom Tageslichte am
Himmel sei. Jetzt strömte eine Fluth von Vorwürfen auf deu Kutscher
ein, bis seine phlegmatische Antwort: „er habe halt geglaubt, das
Licht sei schon vom Tage", Alle entwaffnete. Eingespannt war bereits,
was blieb uns anderes übrig, als zu fahren. Wir bestiegen daher
unserm Wagen, vollkommen überzeugt, daß es eine sicher selten da
gewesene Reiseeintheilung sei, um 1 Uhr Nachts zu Wagen von einem
Nachtquartier aufzubrechen und um ^ auf 2 Uhr in einer Frühstück-
station anzulangen!
Auf dem nun folgenden Wege nach Krimml, wovon wir übri-
gens der Dunkelheit wegen heute wenig sahen, erhebt sich dort, wo
sich die aus ihrer nahen Geburtsstätte von Nordwesten kommende
Salzach mit der ungleich mächtigeren, von Süden daherrauschenden
Krimmlcr Ache vereinigt, der Falkenstein, ein Bergrücken, welcher zwar
gegen das Krimmlerthal mit steilen Wanden abfällt, doch nur eine
geringe Höhe hat. Auf ihm ist der Haufttheld der ersten Venediger-
Ersteigung im Nachwinter des Jahres 1853 auf eine uugewühnliche
Art um das Leben gekommen,
Hansstatter Scpp hat den Weg auf den Venediger ausfindig
gemacht, er hat die Gesellschaft auf die Spitze geführt und diese letz-
tere auch als der Erste betreten. Gewiß hat kein Theilnehmer jener
Bergreise den kaum fünf Schuh hohen, aber ungewöhnlich gedrungen
gebauten Sepp mit dem runden, sonnenverbrannten Gesichte voll
schwarzer Bartspitzen vergessen. Nachdem im März 1853 tiefer Schnee
gefallen war, entfernte sich Sepp eines Tages mit dem Gewehre vom
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Title
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Author
- Anton von Ruthner
- Publisher
- Carl Gerold's Sohn
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.8 x 19.2 cm
- Pages
- 440
- Keywords
- Alpen, Gebirge, Natur
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918