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Polyglottes Habsburg | 43
lappenden entgrenzten Kommunikationsräumen“ und von „tiefgreifenden Ver-
flechtungen und Netzwerken“ erweist.70 Er legt ein besonderes Augenmerk auf
die Kluft zwischen tatsächlicher Erfahrungswelt, geprägt von Mehrsprachigkeit,
und einem politischen Kulturbegriff, der Sprache – Einsprachigkeit – zum Syno-
nym für Nation und Kultur erklärt. Zentrales Ergebnis seiner Untersuchungen sind
die für Zentraleuropa typischen hybriden Kommunikationsräume und Identitä-
ten,71 geprägt von „Ähnlichkeiten und Differenzen“,72 die sich der Aufmerksam-
keit der Historiker/innen weitgehend entzogen haben. Anil Bhatti stellt gemein-
sam mit Dorothee Kimmich das Denken in Differenzen überhaupt auf den Prüf-
stand. Sie schlagen als notwendige Ergänzung den Begriff der Ähnlichkeit/Simi-
larity vor.73 Von der neuesten kulturwissenschaftlichen Habsburg Zentraleuropa-
Forschung wird gezeigt, dass sich Kultur nationaler Eingrenzungsversuche entzog
und vielmehr ein synkretistisches Produkt konkreter Interaktionen, des ständigen
Austausches zwischen Vertretern verschiedener Sprachen, Religionen und Le-
benswelten war und ist. Mehrsprachigkeit war demnach eine kulturbestimmende
Kompetenz.
SCHLUSSBEMERKUNG
Ziel dieser Untersuchung war es zu eruieren, wie in der späten Habsburgermonar-
chie eine plurikulturelle Gesellschaft entstehen konnte und woran sie scheiterte.
Mit dem polyglotten Habsburg verschwand längst vor dem Zerfall der Monarchie
die plurikulturelle, weitgehend national indifferente Gesellschaft in Zentraleu-
ropa, die durch Interaktionen, unauffällige Unterschiede und auffällige Ähnlich-
keiten zusammengehalten wurde.74 Obwohl die integrative Funktion von Mehr-
sprachigkeit bekannt war, setzte sich im Zeitalter radikaler Nationalisierung die
Vorstellung von „Ethnischen Gemeinschaften“ und „Culturverschiedenheiten“
70 Csáky, Gedächtnis der Städte, S. 20.
71 Moritz Csáky, „Hybride Kommunikationsräume um 1910 und Mehrfachidentitäten.
Zentraleuropa und Wien um 1900“, in: Elisabeth Röhrlich (Hg.), Migration und Inno-
vation um 1900. Perspektiven auf das Wien der Jahrhundertwende, Wien/Köln/Weimar
2016, S. 65-97; ders., Das Gedächtnis Zentraleuropas, S. 78-80.
72 Csáky, Das Gedächtnis Zentraleuropas, S. 105-109.
73 Anil Bhatti, Dorothee Kimmich (Hg.), Ähnlichkeit; dies., Similarity. A Paradigm for
Culture Theory, New Delhi/New York 2018.
74 Vgl. Feichtinger/Heiss, „Der Wille zum Unterschied“, S. 55.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen