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260 | Jerneja Ferlež
Dabei muss aber bedacht werden, dass die Postkarte samt Marke nicht allen Ge-
sellschaftsschichten gleichermaßen einfach zugänglich war. Trotz des relativ ge-
ringen Preises konnte sie sich ein hoher Beamter leichter leisten als ein Pferde-
knecht. Nachdem sie ins Distributionsnetz gesetzt wurden, warten die Postkarten
also darauf, gekauft, beschrieben und versandt zu werden. Häufig finden wir auf
ihnen Angaben zum Fotografen und Verleger, nicht aber, wo sie gekauft wurden.
Deshalb wissen wir nicht, ob sie den Käufer aus der Auslage einer Papierwaren-
handlung angesprochen haben, sie gemeinsam mit Rauchwaren in einer Trafik,
beim Besuch eines Vorstadtgasthauses oder vielleicht am Bahnhof, wo jemand auf
einen Zug gewartet hat, gekauft wurden. Etwas klarer ist aber, wer der Käufer war,
da es wohl jener war, der als Sender unter seiner Botschaft unterschrieben hat –
über seinen Status können wir aber nur anhand seiner Nachricht Mutmaßungen
anstellen. Das Versenden verursachte keine großen Unkosten, weshalb wir wissen
– was man auch aus den handschriftlichen Postkartennachrichten lernen kann –,
dass nicht nur Vertreter der höheren Gesellschaftsschichten Postkarten versand-
ten, sondern hie und da auch andere Bürger, Hausmädchen, Lehrlinge, Arbeiter.
Dann stellt sich zudem die Frage, ob Postkarten mehr von Einheimischen oder
Besuchern der Stadt gekauft wurden. Nancy Stieber schreibt für Amsterdam um
1900, dass die Einheimischen eine bedeutende Käufergruppe von Postkarten ihrer
Stadt darstellten und die Verleger bei der Postkartenproduktion auch explizit ihre
Bedürfnisse und ihren Geschmack vor Augen hatten. Einheimische schickten
Postkarten nicht nur anderswohin, sondern schickten sie sich untereinander und
sammelten sie. Auf den Karten vermerkten sie Kommentare, verwiesen auf den
Inhalt der Postkartenbilder, kommentierten den Wandel der Stadt und verbalisier-
ten ihre Einstellung dazu. Sie verwendeten Postkarten unter anderem auch als Me-
dium, um Neuigkeiten, Glückwünsche oder einfach Grüße untereinander auszu-
tauschen. Mit den Bildmotiven aus ihrer Mikroumgebung identifizierten sie sich
und dokumentierten so mit ihren Aufschriften bei den Bildern selbst ihre Umge-
bung. Auch in den Sammelalben betonten ihre handschriftlichen Kommentare ihr
Verhältnis zur dargestellten Umgebung. So konnten sie sich einerseits für die Dar-
stellung ihrer Stadt und deren Verwandlungsprozess begeistern, andererseits
konnten Postkartenalben aber genau im Gegenteil dem visuellen Erhalt des alten,
verschwindenden Antlitzes der Stadt dienen. Das konnte sogar so weit gehen, dass
Neuheiten absichtlich aus den erhaltenen Darstellungen ausgeschieden wurden.30
Auch innerhalb der Gruppe der Einheimischen gibt es natürlich zwei verschie-
dene Kategorien: die ursprünglich Einheimischen und die Zugezogenen. Beson-
ders letztere hatten oft mehr Gründe, Grüße zu versenden, sei es in die Gegend,
aus der sie stammten, oder woandershin – sie berichten, wie sie sich in ihrer neuen
30 Stieber, „Postcards and the invention“, S. 25-27, 37-38.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen