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324 | Jernej Kosi
Der entsprechende Prozess, Idee und Praxis eines ethnolinguistischen Natio-
nalismus zu verbreiten, prägte in der Spätzeit der Monarchie auch den Alltag der
lokalen Bevölkerung von Šmarje pri Jelšah/St. Marein bei Erlachstein. So etab-
lierte sich dieser Ort zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einigen Jahrzehnten
geplanter Slowenisierungsmaßnahmen tatsächlich als bedeutendes lokales Zent-
rum des Slowenentums. Im Haus des örtlichen Großgrundbesitzers und Unterstüt-
zers der slowenischen Nationalbewegung Franc Skaza trafen sich über die Jahr-
zehnte hinweg eine Reihe bedeutender slowenischer nationaler Aktivisten und In-
tellektueller, wie etwa Anton Martin Slomšek, Josip Vošnjak, Davorin Trstenjak,
Valentin Zarnik und Anton Aškerc. Ebenso wurden in diesem Ort seit Beginn der
Verfassungszeit zahlreiche slowenische nationale Vereine gegründet: 1870 der
politische Verein Naprej, 1883 der slowenische Lesesaal Narodna čitalnica, 1886
eine Filiale der Kyrill- und Method-Gesellschaft. Den lokalen nationalen Aktivis-
ten gelang es auf gerichtlichem Wege, das Slowenische in der staatlichen Volks-
schule des Ortes zu etablieren und Ende des 19. Jahrhunderts hielten die Slowenen
die Gemeindeverwaltung fest in ihren Händen. Sie verwendeten dabei ihre Macht
auf lokaler Ebene – und in diesem Punkt unterschieden sie sich auf keinerlei Weise
von den meisten anderen nationalen Aktivisten mehrsprachiger Gebiete der späten
österreichischen Zeit – für eine wohlüberlegte und planvolle Festigung der slowe-
nischen Sprache, slowenischer politischer Positionen und slowenisch geprägter
Weltanschauung. Ein beredtes Zeugnis dafür bildet das Beispiel der örtlichen frei-
willigen Feuerwehr, die 1880 mit der deutschen Bezeichnung „Freiwillige Feuer-
wehr St. Marein bei Erlachstein“ gegründet wurde. 1900, als ein neuer Bürger-
meister die Amtsgeschäfte in slowenischer Sprache übernahm, forderte dieser von
den Mitgliedern des Feuerwehrvereins, Slowenisch als Kommandosprache einzu-
führen. Als sich die Mitglieder der Feuerwacht dem widersetzten, strich er ihnen
kurzerhand die Unterstützung seitens der Gemeinde. Daraufhin stellte die Feuer-
wehr ihre Tätigkeit ein, einige Jahre später wurde sie jedoch als rein slowenische
Organisation neu gegründet. Ein weiterer Hinweis hierfür darf im amtlichen zwei-
sprachigen Poststempel „St. Marein b. Erlachstein/Šmarje“ der Gemeinde gese-
hen werden. Und trotzdem: Obwohl sich der Ort zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Cambridge, MA, London 2006; ders. „Nationalist emotion as fin-de-siecle legal de-
fense? 1908 trial in Celje/Cilli“, Acta Histriae 21, No. 4 (2013), S. 735-747. Über De-
nunziationen und Anklagen wegen Serbophilie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs
vgl. Martin Moll, Kein Burgfrieden: der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in
der Steiermark 1900-1918, Innsbruck 2007; Filip Čuček, Martin Moll (Hg.), Duhovniki
za rešetkami: poročila škofu o poleti 1914 na Spodnjem Štajerskem aretiranih du-
hovnikih = Priester hinter Gittern: die Berichte der im Sommer 1914 in der Unterstei-
ermark verhafteten Geistlichen an ihren Bischof, Ljubljana 2006 (= Viri 22).
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen