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michaEl Viktor schwarz
tisteriums der erratische Einsatz des Zackenstils verstehen. Im Übrigen darf man
der Stilwahl Erfolg bescheinigen. Jedenfalls gilt dies, wenn man es nicht nur auf
das Thema und den Standort, sondern auch auf die Darstellungsweise zurückführt,
dass Aspekte der Höllenlandschaft ein Nachleben in den verschiedenen Künsten
hatten. Spekulativ wäre die Unterstellung, Dante hätte einen traditionell (nicht nur
kleiner, sondern auch weniger agil und glaubwürdig) dargestellten Mosaik-Luzifer
nicht beachtet, aber es bleibt eine Tatsache, dass ihn dieser Luzifer wie kaum eine
andere bildkünstlerische Erfahrung fesselte.
Zweitens läßt sich die Florentiner Hölle einer Phase mediterraner Bildkultur
zuordnen, die durch eine Reihe exzeptioneller und doch auch ähnlicher Phäno-
mene gekennzeichnet ist. Hingewiesen sei auf Nicola Pisanos Reliefs in Pisa und
Siena: Wenige Jahre nach der als Mosaik ausgeführten Höllenszene trafen hier er-
neut Zackenstilformen und byzantinisches Motivrepertoire zusammen und trugen
zur Erneuerung der toskanischen Skulptur bei.51 Zu nennen sind auch bestimmte
Miniaturen im 1259 geschriebenen Epistolar des Giovanni da Gaibana in der Pa-
duaner Biblioteca Capitolare (Ms. E2): Die überaus hochrangigen Bilder belegen
die Wirksamkeit von Formen der Makedonen-Renaissance in der Buchmalerei
Oberitaliens.52 Trotz der Disparatheit besaßen diese in Italien geleisteten Bearbei-
tungen östlicher Darstellungstechniken erhebliche Strahlkraft. Die Höllenszenerie
des Baptisteriums möchte man aus einer (bislang noch wenig bedachten) ostmittel-
meerischen Perspektive als im Exil abgehaltene Probenarbeit für die Kunst des nach
1264 wiederaufgelebten byzantinischen Staates verstehen („Paläologen-Renaissan-
ce“)53. Aus transalpiner Perspektive darf man sagen: Es lag an der Virulenz byzan-
tinisch geprägter Formen, dass die mitteleuropäische Malerei des fortgeschrittenen
13. Jahrhunderts einen ganz eigenen Weg im gotischen Europa ging. Der Zackenstil
überlagerte die Muster und Modelle aus Westeuropa nicht nur, sondern schloss sie
sektoral aus: Wo in der Architektur und Skulptur Opus francigenum den höchs-
ten Anspruch markierte,54 war es auf dem Gebiet der Malerei der Zackenstil. Ein
Ensemble, an dem sich das zeigt, ist der Naumburger Westchor mit seiner den
französisch-gotischen Baugliedern und Statuen qualitativ ebenbürtigen Verglasung,
51 Antje Middeldorf-Kosegarten: Nicola Pisano, das „Wolfenbütteler Musterbuch“ und
Byzanz. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 39 (1988), S. 29–50.
52 I manoscritti miniati della Biblioteca Capitolare di Padova, hg. von Giordana Mariani
Canova / Marta Minazzato / Federica Toniolo, Padua 2014, Bd. 1, S. 121–142. Fabio Luca
Bossetto: Il Maestro del Gaibana: Un miniatore del Duecento fra Padova, Venezia e
l’Europa. Mailand 2015.
53 Vgl. Otto Demus: Die Entstehung des Paläologenstils in der Malerei. In: Berichte zum
XI. Internationalen Byzantinisten-Kongress, Bd. 4, 2, München 1958, S. 1–63, bes.
S. 33‒41 und Helmut Trnek: Beobachtungen zum Wolfenbüttler Musterbuch: Beiträge
zum Wandel von Renaissancebestrebungen im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Phil.
Diss., Wien 1974, bes. S. 67–88.
54 Die Bedenken gegen die Verwendung von Opus francigenum als Stilbegriff sind bekannt.
Wenn aber geltend gemacht wird, im Text der Quelle (Burkhard von Hall, Cronica eccle-
siae Wimpinensis) bezeichne der Begriff eine Werktechnik, so ist dem entgegenzuhalten,
dass die Grenze zwischen Technik und Stil gedanklich und sprachlich bis heute flie-
ßend ist. Vgl. Jens Rüffer: Werkprozess – Wahrnehmung – Interpretation: Studien zur
mittelalterlichen Gestaltungspraxis und zur Methodik ihrer Erschließung am Beispiel
baugebundener Skulptur. Berlin 2014, S. 274 f.
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Title
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Author
- Christine Beier
- Editor
- Michaela Schuller-Juckes
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Size
- 18.5 x 27.8 cm
- Pages
- 290
- Categories
- Geschichte Chroniken