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das wEinGartEnEr BErthold-sakramEntar
schon durch seinen Buchtyp auf.12 Nicht zufällig war es bis zur Faksimilierung vor
20 Jahren als Berthold-Missale bekannt, denn noch mehr als das liturgisch ähnlich
hochrangige Evangeliar ist das Sakramentar ein Buchtyp des ersten Jahrtausends.
Ersteres hat bis heute eine Präsenz im Gottesdienst, Sakramentare dagegen sind
ab dem zehnten Jahrhundert auf dem Weg ins Vollmissale, welches die Funktion
und – in geringerem Maß – das Prestige vom Sakramentar übernommen hat. Das
Berthold-Sakramentar ist das späteste13 und zugleich das am reichsten ausgestattete
aller erhaltenen mittelalterlichen Sakramentare, unter anderem mit 21 ganzseiti-
gen Miniaturen und sechs Initialzierseiten sowie mehreren Hundert Initialen in
Deckfarbenmalerei oder kolorierter Federzeichnung. Es hat noch seinen gleichzei-
tig entstandenen Prachteinband mit Edelsteinen und Reliquieneinschlüssen.14 Sein
Auftraggeber, Abt Berthold von Hainburg,15 war eine Art Vorgriff auf die baro-
cken Fürstäbte, und sein Maler gehört zu den herausragendsten und rätselhaftesten
Künstlerpersönlichkeiten des Mittelalters.
Belegt sei dies gleich zu Beginn durch eines seiner Meisterwerke: die Ankunft
der Heiligen Drei Könige zu Epiphanias auf fol. 19v. Der Vergleich mit dem etwa
zeitgleichen Erfurter Missale und dem einige Jahrzehnte jüngeren St.-Blasien-Psal-
ter (Privatbesitz) und fol. 128r aus dem Vaticanus Rossianus 18116 beweist, dass der
Maler etwa für die beiden von vorn und von hinten verkürzten Pferde auf weiter
verbreitete Muster und Versatzstücke zurückgreifen konnte.17 Diese Elemente ver-
von Weingarten (1200–1232). In: Das Berthold-Sakramentar 2013–2014 (zit. Anm. 10),
Bd. 2, S. 14–17. Rudolf schließt sich Swarzenskis Ansicht an, dass der Codex zwischen
dem Großbrand 1215 und der Kirchneuweihe 1217 entstand – Swarzenskis Argument
ist die Prominenz des erst ab 1217 neben Martin als Patron Weingartens eingesetzten
Oswald, Rudolf stellt „hektische Herstellung“ fest und deutet auch die Nikolausdarstel-
lung auf dem Einband mit der Vermutung, Berthold habe die erst im 16. Jahrhundert
erwähnte Nikolauskapelle am Weingartener Kreuzgang gegründet. Spilling und Sauer
votieren für eine Datierung vor den Brand, erstere aufgrund des Bücherverzeichnisses
des Abts, das sie ebenfalls vordatiert, Sauer aus stilistischen Erwägungen.
12 Dazu und zum Folgenden: Felix Heinzer: Das Berthold-Sakramentar als liturgisches
Buch. In: Das Berthold-Sakramentar 2013–2014 (zit. Anm. 10), Bd. 2, S. 29–41.
13 Das wenig spätere Messbuch des Hainricus Sacrista (New York, Morgan Library and
Museum, M. 711, Weingarten, um 1217) ist trotz seiner neuen Benennung im Rahmen
der Faksimilierung kein Sakramentar, sondern ein Graduale-Sequentiar-Sakramentar
wie andere Weingartener Codices (Fulda, Hochschul- und Landesbibliothek, Aa 6 und
Aa 32), vgl. Herbert Köllner / Christine Jakobi-Mirwald: Die illuminierten Handschrif-
ten der Hessischen Landesbibliothek Fulda, 1. Handschriften des 6.–13. Jahrhunderts.
Stuttgart 1976 (Bildband) / 1994 (Textband), Kat. 38, 57. Zum M. 711 vgl. Christine
Marie Sciacca: The Gradual and Sacramentary of Hainricus Sacrista (Pierpont Morgan
Library, M. 711): Liturgy, Devotion, and Patronage at Weingarten. Ph. D., Columbia
University 2008); Faksimile: Das Hainricus-Missale. Vollendete romanische Buchkunst
in Gold und Silber. New York, Pierpont Morgan Library, Ms M 711, Weingarten, um
1217, hg. von Hans Ulrich Rudolf, Graz 2010 (Codices selecti 110).
14 Frauke Steenbock: Der Einband. In: Das Berthold-Sakramentar 2013–2014 (zit.
Anm. 10), Bd. 1, S. 69–86.
15 Vgl. Rudolf in: Das Berthold-Sakramentar 2013–2014 (zit. Anm. 10), S. 3–28.
16 Vgl. Braun-Niehr, Das Brandenburger Evangelistar (zit. Anm. 2), Abb. 55: Im unteren
Bereich der Initialzierseite sind links und rechts je ein berittener Falkner in direkter
Vorder- und Rückansicht dargestellt.
17 St.-Blasien- oder Dyson-Perrins-Psalter (St. Blasien um 1240); vgl. Harry Bober: The
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Title
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Author
- Christine Beier
- Editor
- Michaela Schuller-Juckes
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Size
- 18.5 x 27.8 cm
- Pages
- 290
- Categories
- Geschichte Chroniken