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3 Umwelt in Gesellschaft, Politik & Recht
der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung“. Wesent-
lich ist hier, dass Jonas das Fortschreiten des kollektiven technologischen Entwickelns
und Tuns als Großunternehmen sieht, das wie eine große Dampfwalze voran rollt. Eine
evolutive Kleinschrittigkeit, wie sie in den Naturprozessen als natürliche Entwicklung
beobachtbar ist, sei hier nicht (mehr) gegeben. Der „Vorteil der tastenden Natur“
werde ausgehebelt. Der Evolution sei es fremd, aufs Ganze zu gehen. Die Mensch-
heit gehe aber aufs Ganze.
Jonas verwendet die mit der Anmutung der Irrationalität verbundenen Begrifflich-
keiten der Heils- und der Unheilsprophezeiung. Zukünftiges Unheil durch Technik
zu befürchten, erscheint ebenso rational bzw. irrational wie das zukünftige Heil durch
Technologie zu versprechen. Jonas ist überzeugt, dass eine Unheilsprognose essen-
ziell bedeutsamer für die Zukunft der Menschheit sein könne. Diese Vorrangregel
hat deutliche Kritik hervorgerufen, weil sie als Innovationsverhinderung interpretiert
wurde. Umgekehrt ist sie der Keim des Vorsorgeprinzips, das inzwischen in Europa
einen hohen Stellenwert hat. Das Vorsorgeprinzip ist nicht auf individuelles Verhalten
beschränkt, sondern nimmt kollektives menschliches Tun in den Blick.
Die zwei Elemente der Vorgehensweise werden ergänzt durch das Verantwortungs-
gefühl und die tatsächliche Übernahme von Verantwortung: „Erst das hinzutretende
Gefühl der Verantwortung, welches dieses Subjekt an dieses Objekt bindet, wird uns
seinethalben handeln lassen“ (Jonas 1979, S. 170). Damit erkennt Jonas ein wesent-
liches affektives oder emotionales Element der Ethik an. Erst das in uns entstehende
Verantwortungsgefühl lässt uns verantwortlich, moralisch handeln. Die Vernunft
allein, die rationale Reflexion allein kann dies nicht bewirken. Die „Sorge um den Nach-
wuchs“ (Jonas 1979, S. 85ff.) ist „der elementar menschliche Urtyp des Zusammenfalls
von objektiver Verantwortlichkeit und subjektivem Verantwortungsgefühl“ (Jonas 1979,
S. 171). Dies kennen wir als menschliche Wesen, wenn wir beobachten, wie Mütter und
Väter auf Babys und Kleinkinder einfühlend und sorgsam reagieren. Je kleiner die
jungen Wesen sind, desto stärker werden in der Regel die Menschen von dieser zu-
neigenden fürsorglichen Haltung berührt und selbst erfasst. Jonas bemerkt, dass diese
Sorge um den Nachwuchs der Anrufung des Sittengesetzes à la Kant gar nicht bedürfe.
Jonas zielt damit auf ein nichtreziprokes Verantwortungsverhältnis ab, das nicht
(unbedingt) auf erwarteter Gegenseitigkeit beruht. Es besteht für den Handelnden
jenseits von Gerechtigkeitsvorstellungen oder Nutzenerwartungen. Diese Art von Ver-
antwortung besteht objektiv. Das heißt, man kann von ihr auch nicht zurücktreten
(so wie man ein übernommenes Amt zurücklegen kann), sondern sie ist einfach vorhan-
den und global wirksam. Sie ist „unbedingt und unwiderruflich“ (Jonas 1979, S. 173).
Anthropozentrisch formuliert: „Das Urbild aller Verantwortung ist die von Menschen
für Menschen“ (Jonas 1979, S. 184). Man kann jedoch ergänzen, dass die Sorge um den
Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Title
- Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Authors
- Erwin Schmid
- Tobias Pröll
- Publisher
- Springer Spektrum
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-662-60435-9
- Size
- 17.3 x 24.6 cm
- Pages
- 288
- Keywords
- Umweltmanagement, Bioressourcen, Nachhaltigkeit, Sustainability, Universität für Bodenkultur
- Categories
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima