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SMART CITIES SIND STARK SEGREGIERTE STÄDTE
Die rasante Digitalisierung öffentlicher Infrastruk-
turen wurde bisher weitgehend ohne die Beteiligung
der Bevölkerung realisiert. Das zeigt zum einen
ein Demokratiedefizit der Smart City und zum an-
deren ein Gerechtigkeitsdefizit, da nicht alle Stadt-
bewohner*innen im gleichen Maße von digitalen
Infrastrukturen profitieren. Auch in einer digitalen
Welt werden ohne Transformationsprozesse reale
ökonomische und soziale Ungleichheitsverhältnisse
überleben. Zu befürchten ist sogar, dass die bisherige
Vernachlässigung der sozialen Dimension in der
‹Smart-City›-Debatte neue Extreme sozialer Un-
gleichheit innerhalb und zwischen Städten befördert
(‹urban digital divides›)8.
Voraussetzungen für eine bürgerschaftliche Teil-
habe sind die Partizipation der Stadtbewohner*innen
an der Entwicklung und Implementierung digitaler
Technologien, der sozial gerechte Zugang zu diesen
sowie die Offenlegung aller Komponenten, Codes
und Prozesse, die dafür bedeutsam sind. Personen-
bezogene Daten müssen transparent erhoben und
kontrolliert werden. Diese Forderungen sind zentral
für die ‹Recht auf Stadt›-Bewegung, die dafür kämpft,
alle mit Steuermitteln erworbenen Güter, Dienstleis-
tungen und damit auch Daten sowie das datengene-
rierte Wissen allen Bürger*innen zur Verfügung zu
stellen (informationelles Recht auf Stadt)9.
FÜR EINE NACHFRAGEORIENTIERTE UND
GEMEINWOHLORIENTIERTE DIGITALISIERUNG
Die sozialen Aufgaben einer Stadt und die vielfältigen
Interessen und Fähigkeiten von Stadtbewohner*innen brauchen eine nachfrageorientierte Stadtpolitik, die
sich an der Idee einer sozial gerechten Nachhaltigkeit
orientiert. Die Modernisierungs- und Erneuerungs-
versprechen, die allein auf technologischen Trans-
formationen beruhen, werden nicht automatisch zu
einer nachhaltigen Stadtstruktur und einer nachhal-
tig handelnden Stadtgesellschaft führen. Ausgangs-
punkt der ‹Smart City›-Debatte ist bisher nur die
technologische Machbarkeit der Digitalisierung – die
sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen von
und in Städten werden vernachlässigt.10 Technologie-
orientierte ‹Smart-City›-Strategien zielen allein auf
Effi zienzgewinne und rütteln nicht an grundsätz-
lichen Problemen einer durch den Autoverkehr stark
belasteten, sozial gespaltenen Stadt. Smart wäre
eine Stadt demnach auch, wenn sie noch mehr Autos
mit weniger Energieverbrauch und Stauminuten pro
Fahrzeug bewältigen, dabei gleichzeitig weiterhin
Fuß- und Radverkehr behindern, und den Energiever-
brauch insgesamt steigern würde. Um jedoch die Pro-
bleme einer nicht nachhaltigen Mobilität anzugehen,
müssen Städte alternative Mobilitätsformen bevorzu-
gen, welche die Ressourcennutzung absolut reduzie-
ren. Technologische Lösungen sind also ohne einen
so
zialen Wandel keine hinreichende Strategie für den
Übergang zu einer umweltschonenden Zukunft.11
‹Reclaim the City› heißt in diesem Sinn, Wege zu
einer sozial gerechten und gemeinwohlorientierten
Stadt zu finden, die dort auf die Nutzung digitaler
Infra strukturen verzichtet, wo diese für eine nach-
haltige Stadtentwicklung nicht notwendig sind, und
dort ein informationelles Recht auf Stadt berücksich-
tigt, wo sie eingesetzt werden. }
DIE AUTORIN
/// Prof. Dr. Sybille Bauriedl ist Professorin an der Europa-Universität Flensburg in der Abteilung Geographie. Ihre Forschungsgebiete
sind nachhaltige Stadtentwicklung, Ressourcenkonflikte und Geschlechtergerechtigkeit mit aktuellen Projekten zu Smart Cities.
https://www.uni-flensburg.de/geographie/wer-wir-sind/team/prof-dr-sybille-bauriedl/
LITERATUR
/// 1 Libbe, J. Smart City: Leitbild integrierter Stadt- und Regionalentwicklung? DISP 197, 76-78 (2014).
/// 2 Albino, V., et al. Smart Cities: Definitions, Dimensions, Performance, and Initiatives. Journal of Urban Technology 22, 1-19 (2015).
/// 3 Caragliu, A., et al. Smart Cities in Europe (VU Amsterdam, 2009).
/// 4 Vogelpohl, A. Eliten unter sich. Wie Unternehmensberatungen ihre Macht über Städte entfalten. sub/urban.
Zeitschrift für kritische Stadtforschung 6, 223-229 (2018).
/// 5 Morozov, E., & Bria, F. Die Smarte Stadt neu denken. https://www.rosalux.de/publikation/id/38134/diesmarte-stadt-neu-denken (2017).
/// 6 Rabari, C., & Storper, M. The Digital Skin of Cities. Urban Theory and Research in the Age of the Sensored and Metered City, Ubiquitous
Computing and Big Data. Cambridge Journal of Regions, Economy and Society 8, 27-42 (2015).
/// 7 Ebd.
/// 8 Graham, S. Bridging Urban Digital Divides? Urban Polarisation and Information and Communications Technologies (ICTs).
Urban Studies 39, 33–56 (2002).
/// 9 Shaw, J., & Graham, M. Ein informationelles Recht auf Stadt? Code, Content, Kontrolle und die Urbanisierung von Information.
In: Bauriedl, S. & Strüver, A. (Hrsg.). Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: Transcript-Verlag (2018).
/// 10 Bauriedl, S., & Strüver, A. (Hrsg.). Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: Transcript-Verlag (2018).
/// 11 Caprotti, F. Eco-urbanism and the Eco-city, or, Denying the Right to the City? Antipode 46, 1285–1303 (2014).
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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Title
- WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
- Subtitle
- Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Author
- Anja Höfner
- Editor
- Vivian Frick
- Publisher
- oekom verlag
- Location
- München
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-96238-149-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 152
- Keywords
- Digitalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Politik, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeitskommunikation
- Categories
- Informatik
- Technik