Page - 74 - in WAS BITS UND BÄUME VERBINDET - Digitalisierung nachhaltig gestalten
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schätzung dieser materiellen Ressourcen durch ihren
viel zu kurzen Einsatz in Geräten ist beispiellos. Re-
cycling löst dieses Problem leider nicht (siehe auch
den Beitrag von Bax & Handke). Selbst unter optima-
len industriellen Bedingungen werden im Recycling
des besagten Elektronikschrotts maximal 17 Metalle
zurückgewonnen, alle anderen verteilen sich so fein,
dass es praktisch unmöglich ist, sie jemals wiederzu-
gewinnen. Wir entziehen diese Metallmengen damit
der Nutzung durch zukünftige Generationen. Hinzu
kommt, dass zwischen den entstehenden und recy-
celten Mengen von Elektronikabfall ohnehin eine Lü-
cke klafft, die in den meisten EU-Ländern weit über
50 Prozent liegt10 und in der übrigen Welt noch größer
sein dürfte.
Für eine nachhaltige Digitalisierung wäre es not-
wendig, das Prinzip zu rehabilitieren, dass Hard-
warekomponenten bis zum Ende ihrer technischen
Lebensdauer betrieben werden und der größte Teil
der Wertschöpfung im immateriellen Bereich, also in
der Software, stattfindet.
FAZIT UND AUSBLICK
Weder im Fall des Flugverkehrs noch im Fall der
Lebens dauer von Gebrauchsgütern hat sich bisher
die Hoffnung erfüllt, dass dank Digitalisierung die
Material- und Energieintensität unserer Aktivitäten
zurückgehen würde. Im digitalen Zeitalter ist es
vielmehr selbstverständlich geworden, dass Anbieter
das Prinzip der immateriellen Wertschöpfung durch
Software in sein Gegenteil verkehren, indem sie ma-
teriellen Konsum durch Software stimulieren oder
gar erzwingen.
Aus diesen und auch aus ethischen Gründen wird
es unter anderem notwendig sein, die Rechte der
Nutzer*innen zu stärken, um der Entwicklung ent-
gegenzutreten, dass ihr Eigentum zunehmend unter
externe Kontrolle durch Softwareanbieter gerät. Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde
vom deutschen Bundesverfassungsgericht einst aus
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht heraus ent-
wickelt, um dem*r Einzelnen eine rechtliche Hand-
habe zu geben, über die Verwendung seiner oder
ihrer persönlichen Daten zu bestimmen. Es stellt
sich heute die Frage, ob angesichts der zunehmen-
den Fremdbestimmung unserer Gebrauchsgüter und
Infra strukturen nicht analog aus dem Eigentums-
recht ein Recht auf materielle Selbstbestimmung
abzuleiten wäre, das dem*r Eigentümer*in eines
(softwaregesteuerten) materiellen Gutes bessere
///<quote>
Eine nachhaltige
Wirtschaftsweise
wird nicht
realisierbar sein,
solange wir die grund-
legenden Mechanismen
nicht infrage stellen,
die uns zu Wachstum
zwingen.
///</quote>
DAS GRUNDPRINZIP DER DIGITALISIERUNG IST
DEMATERIALISIERUNG – NUR STELLEN WIR ES
AUF DEN KOPF
Software ist eigentlich das perfekt nachhaltige Pro-
dukt. Ein Softwareprodukt ist auf die gleiche Weise
immateriell wie ein Roman oder eine Partitur. Diese
können allenfalls aus der Mode kommen, aber sie
unterliegen keiner Abnutzung. Sie ändern sich nicht
dadurch, dass sie gelesen bzw. gespielt werden.
Hardware nutzt sich ferner nicht dadurch ab, dass
sie Software ausführt. So gesehen, ist Hardware er-
staunlich haltbar. Eher sind äußere Beschädigungen
für die Alterung von Hardware verantwortlich als
die eigentliche Arbeit, welche die Prozessoren, Spei-
cherchips und weiteren Elektronikbauteile verrich-
ten. Falls die Hardware nicht die Funktion erfüllt,
nach der man gerade verlangt, besorgt man sich
neue Software, die man auf der gleichen Hardware
ausführt. Die Universalität der Hardware ist der ur-
sprüngliche und eigentliche Sinn der Trennung von
Hardware und Software.7
Um den Energieverbrauch muss man sich normaler-
weise auch nicht sorgen, denn ein handelsüblicher
Prozessor benötigt heute nur eine Kilowattstunde
Energie, um unvorstell bare 10 Billiarden Rechen-
operationen auszuführen. Die ersten Computer hatten
diese Energie schon nach wenigen Tausend Ope-
rationen verbraucht. Und die Energieeffizienz der
digi talen Technologie
steigt weiter.8
Bis zu diesem Punkt
klingt das alles sehr
material- und energie-
effizient. Nun hat
es sich aber seit den
1980er-Jahren bei Soft-
ware herstellern einge-
bürgert, dass sie durch
die sogenannte Soft-
wareevolution den Fort-
schritt an Rechen-
leistung, Speicher dichte und Energie effizienz im
Hardware bereich vollständig ‹aufsaugen›.9
Das Ergebnis ist, dass funktionierende Geräte syste-
matisch zu Abfall werden, was weltweit zu einem
steigenden Aufkommen von Elektronikschrott führt.
Dies ist unter Nachhaltigkeitsaspekten besonders be-
denklich, denn die heutige Hardware enthält 50 bis
60 Metalle, die zum Teil unter hohen Belastungen für
Mensch und Umwelt gewonnen werden. Die Gering-
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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Title
- WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
- Subtitle
- Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Author
- Anja Höfner
- Editor
- Vivian Frick
- Publisher
- oekom verlag
- Location
- München
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-96238-149-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 152
- Keywords
- Digitalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Politik, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeitskommunikation
- Categories
- Informatik
- Technik