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der Ethikkommission der SIAARTI vehement in der Öffentlichkeit ge-
wehrt. Rückblickend sei es somit auch der Nationalen Bioethikkommissi-
on nicht gelungen, ein wirklich einstimmiges Votum zum Vorgehen im
Krisenfall abzugeben. Die entsprechende Diskussion sei keineswegs abge-
schlossen und werde noch einige Zeit weitergeführt werden müssen, so
der Autor.
Daran anschließend weist Wolfgang Kröll aus einer intensivmedizini-
schen Sicht darauf hin, dass Triage, ursprünglich die Sichtung oder Vorse-
lektion von Patientinnen und Patienten im Hinblick auf ihre Behand-
lungsbedürftigkeit angesichts knapper Ressourcen, in der Geschichte der
Medizin nichts Neues darstellt. Schon immer wurden im Rahmen von
Kriegen und von Katastrophen, wenn es zu einem Massenanfall von Ver-
letzten, Erkrankten oder Verwundeten kam, Vorselektionen durchgeführt.
Aber auch für den heutigen Notarzt und Intensivmediziner gehören solche
Situationen zum Alltag und in diesem Sinn stelle Triage ein beinahe alltäg-
liches Instrument zur Optimierung der Behandlung aller Betroffenen dar.
Häufiger als gedacht müsse auch im Routinebetrieb moderner Gesund-
heitsversorgung entschieden werden, wem eine Behandlung oder ein In-
tensivbehandlungsbett zugesprochen wird. Daraus folgert der Autor, dass
die Art und Weise, wie in Österreich im Zusammenhang mit Covid-19 das
Thema Triage diskutiert worden sei, in unverantwortlicher Weise Ängste
geschürt hätte.
Werner Wolbert stellt in diesem Kontext eine kantische „Ethik der
Würde“ unterschiedlichen „utilitaristischen“ Ansätzen gegenüber. Beide
ethischen Ansätze wurden im Zusammenhang mit drohenden Triage-
Situationen diskutiert, einander gegenübergestellt und dabei utilitaristi-
sche Überlegungen als ethisch minderwertig diskriminiert. Wolbert stellt
einen prinzipiellen Gegensatz der beiden Ansätze infrage. Die kantische
Idee einer „unbedingten Pflicht“ ethischen Handelns sei immer mit not-
wendigen Ausnahmen verbunden, in denen folgenorientierte Überlegun-
gen wichtig werden. Solche Ausnahmen würden jedoch zu keiner Beein-
trächtigung der Unbedingtheit und Allgemeinheit der ethischen Pflicht
führen, sondern dienten vielmehr deren Präzisierung in konkreten Einzel-
fällen.
Aus der Sicht des Strafrechtlers Alois Birklbauer fällt die Gesamtbe-
wertung der Verhältnismäßigkeit der Covid-19-Maßnahmen gemischt aus.
Vertretbar war es aus der Perspektive des Strafrechts, im materiellen Straf-
recht keine Neuerungen vorzunehmen und die technischen Möglichkeiten
im Rahmen von Strafverfahren so optimal zu nutzen, dass die Vorgabe ei-
nes „Abstandhaltens“ gegeben war. Hingegen erscheine es grundrechtlich
bedenklich, wenn Freiheitsentziehungen ausschließlich nach Aktenlage
Einleitung
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik