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lange Zeit, voraussichtlich aber lebenslang, von intensivmedizinischen
Maßnahmen abhängig bleiben werden. Im Statement der Bioethikkom-
mission wird im Hinblick auf die einer Indikationsstellung zugrunde lie-
genden Einschätzung des Risikos einer chronisch kritischen Erkrankung
folgendes ausgeführt: „Jenseits der Betrachtung der individuellen Lebens-
perspektive ist dieser Aspekt der Prognose im Hinblick auf die massiv ein-
geschränkten Ressourcen einer Katastrophensituation von besonderer Be-
deutung“ (Österreichische Bioethikkommission 2020, 12).
Vermeidung unverhältnismäßiger Therapie
Eine unverhältnismäßige Therapie erfolgt, sobald die Belastungen einer
medizinischen Maßnahme den Nutzen für einen Patienten deutlich über-
steigen. Dies ist jedenfalls zutreffend, wenn durch die Therapie das ange-
strebte Therapieziel nicht erreicht werden kann, aber auch wenn die durch
eine Therapie erreichbare Lebensqualität/Lebensperspektive die Belastun-
gen während der Behandlung aus Patientensicht nicht rechtfertigt (Neitz-
ke et al. 2016). Im Grunde ist diese Betrachtung ein Spiegelbild des The-
mas Indikation und Patientenwille. Dennoch tritt aber auch eine Dimensi-
on hinzu, die über die individuelle Perspektive hinausgeht – der gerechte
und faire Einsatz von Ressourcen. Folgerichtig wird im Statement der Bio-
ethikkommission gerade diese Betrachtung als ein wesentlicher Aspekt im
Versuch einer Vermeidung oder Entschärfung einer dilemmatischen Situa-
tion angeführt (siehe dazu oben, Abschnitt 2.3).
Triage bei fehlenden medizinischen Ressourcen
Wie die Bioethikkommission in Ihrem Statement ausführt, stellt eine
Triage-Situation ein im Grunde nicht lösbares Dilemma dar. Die Festle-
gung von potentiell zu behandelnden Patienten folgt nicht mehr der Ant-
wort auf die Frage nach einer erhaltenen Prognose, sondern einer, im Ver-
gleich zu anderen Patienten, jeweils besseren Prognose. Es geht also bei-
spielsweise nicht um eine prinzipiell erhaltene Überlebenswahrscheinlich-
keit, sondern um die, im Vergleich zu anderen Patienten, höhere Wahr-
scheinlichkeit, die kritische Erkrankung mit Hilfe der Intensivmedizin zu
überleben. Hier unterscheidet sich die Entscheidungsfindung ganz grund-
sätzlich von jener in Zeiten ohne katastrophalen Ressourcenmangel. Der
Unterschied liegt in der Rückstufung der Anforderung eines potentiell in-
3.1.4
3.2
Andreas Valentin
44
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik