Page - 121 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Image of the Page - 121 -
Text of the Page - 121 -
Singer besser einer Stiftung, die Malaria bekÀmpft, zugeteilt worden; die
Effizienz, die Zahl der NutznieĂer, wĂ€re erheblich höher gewesen.5
Schwieriger ist die Sache, wenn mit Hinweis auf die Zahlen durch die ent-
sprechende MaĂnahme einer Minderheit zusĂ€tzlicher Nachteil oder zusĂ€tz-
liches Leid entsteht, wie im Fall der Idee, durch schwache SchutzmaĂnah-
men gegen Corona und das In-Kauf-Nehmen von mehr Toten eine Her-
denimmunitÀt zu erreichen (falls das möglich wÀre). Dagegen wird dann
oft in kantischem Vokabular argumentiert, hier wĂŒrden Menschen zu Mit-
tel gemacht. Prinzipiell ist richtig, dass man so effektiv wie möglich helfen
soll, dass möglichst viele Menschen davon profitieren und dass man solche
Organisationen unterstĂŒtzt, die dafĂŒr die beste Kompetenz haben etc. Zah-
len, so zeigt sich dabei, sind aber nicht immer ein eindeutiges Kriterium.
Angesichts der vielen Bittbriefe, die man mit der Post bekommt, stellt sich
nicht nur die Frage, welche Organisationen man bedenkt und welche
nicht, sondern auch die Alternative â salopp formuliert: Kleckern oder
Klotzen? Gibt man an viele wenig, oder bedenkt man wenige reichlich? Ef-
fizienter soll letzteres sein, speziell unter der Voraussetzung, dass die Men-
schen nach unterschiedlichen PrÀferenzen handeln und damit ihre Wohl-
tÀtigkeit sich irgendwie verteilt und so vielleicht halbwegs spontan koordi-
niert wird. Auch wenn sich hinter den Zahlen durchaus ethische Kriterien
verbergen, so erscheinen doch in der klassischen utilitaristischen Formel,
gemÀà der es um âThe greatest Happiness of the greatest Numberâ6 geht,
die Interessen oder Rechte der einzelnen Person im Kollektiv aufzugehen.
Dabei vergisst man allerdings hĂ€ufig, dass fĂŒr Bentham auch gilt: âEvery-
body to count for one, nobody for more than one.â7
5 Vgl. Singer, Most Good, 5f. Singer gibt zu, dass man natĂŒrlich lieber fĂŒr jemanden
spendet, der ein Gesicht hat, bei dem man auch die Wirkung seines Tuns sehen
kann; so macht eben Wohltun auch Freude. AuĂerdem stellt sich das Problem nur
bei einigermaĂen groĂen Spenden. Singers Thesen sind hĂ€ufig kontraintuitiv. Da-
gegen prÀzise zu argumentieren ist aber auch nicht ganz leicht; diese Gegenargu-
mente mĂŒssten nicht in jedem Fall kantisch sein.
6 Bentham, Fragment, 3: das fundamentale Axiom sei: âit is the greatest happiness of
the greatest number that is the measure of right and wrongâ.
7 So wird Bentham von Mill zitiert; wörtlich findet sich dieses Zitat aber nicht bei
Bentham (vgl. âBenthams Dictumâ, in: http://www.ethikseite.de/prinzipien/zdictu
m.html [28.05.2020]). Kantianismus, Utilitarismus und die MenschenwĂŒrde
121
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
back to the
book Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, MenschenwĂŒrde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik