Page - 128 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Image of the Page - 128 -
Text of the Page - 128 -
absehbar ist, solche Überlegungen im Voraus anzustellen und klare Kriteri-
en zu formulieren; andernfalls besteht im Ernstfall die Gefahr schlecht
überlegter Ad-hoc-Entscheidungen. Schließlich könnten solche frühzeiti-
gen Überlegungen aber auch das Bemühen um Vermeidung von Triage-
Situationen schwächen, da man ja schon eine Lösung für solche Konflikt-
fälle parat hat und so das Gewissen vorzeitig beruhigt sein könnte. Und
deswegen mögen teleologische Überlegungen oft voreilig und deswegen
suspekt erscheinen, wenn sie gravierende Übel in Kauf nehmen. Für je-
manden, der sich von Berufs wegen mit ethischen Fragen befasst, sind frei-
lich derartige zunächst rein hypothetische Überlegungen nicht ungewöhn-
lich. Für medizinische Praktiker mag das anders aussehen.
Egoismus und Altruismus
Einen wichtigen Grund für die mit dem Wort „Utilitarismus“ oft gegebe-
ne negative Konnotation zeigt Dieter Birnbacher in seinem einschlägigen
Artikel auf:
Außerhalb der englischsprachigen Länder wird der Ausdruck >Utilita-
rismus< und seine Ableitungen vielfach für eine egoistische Verhaltens-
orientierung verwendet, die den eigenen Nutzen bzw. die Befriedi-
gung eigener Interessen zum ausschließlichen oder überwiegenden
Maßstab des Handelns macht. Dieser Sprachgebrauch wird durch die
vorherrschende Redeweise von >Nutzen< im Sinne von >Eigennutz<
nahe gelegt.33
Wer diese Vorstellung von Utilitarismus teilt, wird wohl von der folgen-
den Äußerung Mills überrascht sein:
Der Utilitarismus fordert von jedem Handelnden, zwischen seinem ei-
genen Glück und dem der andern mit ebenso strenger Unparteilich-
keit zu entscheiden wie ein unbeteiligter und wohlwollender Zuschau-
er. In der Goldenen Regel, die Jesus von Nazareth aufgestellt hat, fin-
den wir den Geist der Nützlichkeitsethik vollendet ausgesprochen. Die
Forderungen, sich dem andern gegenüber so zu verhalten, wie man
möchte, dass er sich einem selbst gegenüber verhält, und den Nächs-
5.
33 Birnbacher, Utilitarismus, 96f.
Werner Wolbert
128
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
back to the
book Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik