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mainly on the fact that mass slave labour in the end would be found un-
profitable to society”.39 Die Schwierigkeiten mit dem “inneren Wert”, der
Personenwürde zeigen sich deutlich bei Sidgwick, dessen Position sich
(nach Rashdall) auf folgende Weise zusammenfassen lässt: „It is a duty to
promote universal good, but universal good is merely pleasure.“40 Damit
nimmt Sidgwick gegenüber der Pflicht eine kantianische Haltung ein,
während er bezüglich der Idee des Guten eine hedonistische Position ver-
tritt. Bei näherem Nachdenken über das Ziel, das er für andere zu beför-
dern habe, müsse der Mensch zu dem Ergebnis kommen, dass es nur aus
der Lust (pleasure) bestehe. Sidgwick teilt somit dem Individuum und der
menschlichen Gemeinschaft ein je unterschiedliches Ziel zu. Damit gibt es
keine Maxime, die, kantisch gesprochen, zu einem allgemeinen Gesetz
werden könnte41. Einerseits verlangt die Vernunft von uns, bisweilen in
einer Weise zu handeln, die unseren eigenen Interessen entgegensteht (et-
wa Unrecht zu leiden), nämlich aus der Liebe zum Richtigen und Ver-
nünftigen als solchem; dennoch sollen wir alle anderen Menschen außer
uns selbst so behandeln, als seien sie rationalen Begehrens (also der Selbst-
losigkeit) unfähig, als begehrten sie vernünftigerweise nichts anderes als
die Lust. Bei Sidgwick bleibt die Frage offen, warum man denn vernünftig
handeln soll, während für Kant reine Vernunft praktisch ist, d. h. dass der
Mensch durch seine Vernunft schon mit der sittlichen Forderung konfron-
tiert ist.42
Wenn nun aber die egoistische und die universalistische Einstellung
gleichermaßen als gut und vernünftig gelten, haben die Wörter vernünftig
und gut verschiedene Bedeutungen. Für den Egoisten würde vernünftig so
viel bedeuten wie: konsistent oder förderlich als Mittel zu dem Ziel, das je-
der für sich anstrebt. Wo ich dagegen eine universalistische Einstellung als
vernünftig charakterisiere, und wenn diese Vernünftigkeit für mich das
Motiv ist, so zu handeln, müsste diese Vernünftigkeit selbst für mich von
innerem objektivem Wert sein; das ist die Position eines Ideal Utilitaria-
nism, wie ihn u. a. Rashdall vertritt.43 Nur wenn solch vernünftiges Han-
39 Ebd.
40 Rashdall, Theory, I 54: „Reason bids him make duty rather than private pleasure
his own end, but in thinking what is the end that he is to promote to other peo-
ple, it pronounces that end to be pleasure.”
41 Rashdall, Theory, I 55.
42 „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und giebt [dem Menschen] ein allge-
meines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen.“ (Kant, Kritik der Prakti-
schen Vernunft, Akademieausgabe V 31).
43 Vgl. Rashdall, Theory, I Kap 7.
Werner Wolbert
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik