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ordnung) oder eine berufsspezifische Sorgfaltsnorm (leges artis) verstoĂen
wird. Fehlt es an solchen generellen Verhaltensanordnungen, wird subsidi-
Ă€r auf den einsichtigen und besonnenen Menschen aus dem Verkehrskreis
des TĂ€ters abgestellt (objektiver Dritter), der sich in der konkreten Situati-
on anders, nÀmlich weniger riskant verhalten hÀtte.13 Im Unterschied dazu
bedeutet Vorsatz nach der Legaldefinition des §5 Abs.1 StGB die ErfĂŒl-
lung eines strafrechtlichen Tatbestands ernstlich fĂŒr möglich halten (Wis-
senskomponente) und sich mit dieser ErfĂŒllung abfinden (Wollenskompo-
nente). Ein TĂ€ter, der das mit seinem Verhalten einhergehende objektive
Risiko erkennt und dessen Verwirklichung in Kauf nimmt, indem er sein
Verhalten in Kenntnis dieses konkreten Risikos setzt, handelt vorsÀtzlich.14
Da die gesundheitlichen Risiken einer COVID-19-Infektion spÀtestens
seit dem Shut Down Mitte MĂ€rz 2020 allgemein bekannt sind, besteht fĂŒr
Personen, die selbst infiziert sind, in den meisten FĂ€llen eine Strafbarkeit
wegen vorsÀtzlicher Körperverletzung (§§83ff StGB), wenn sie die Kontakte
mit anderen Menschen nicht begrenzen und gegen QuarantÀneauflagen
verstoĂen, sofern sich die KausalitĂ€t des gesetzten Verhaltens fĂŒr die Anste-
ckung eines anderen nachweisen lÀsst. Bei fehlendem Vorsatz wird zumin-
dest eine fahrlÀssige Körperverletzung (§88 StGB) naheliegen, denn wer infi-
ziert ist oder infiziert sein könnte und sich nicht an QuarantÀneregeln
hÀlt, handelt objektiv sorgfaltswidrig, weil er gegen positivierte Normen
verstöĂt. Eine eingetretene GesundheitsschĂ€digung liegt im Schutzbereich
der verletzten Norm.
Schwieriger ist die Strafbarkeit wegen Körperverletzung fĂŒr jene zu be-
grĂŒnden, die sich nicht an die allgemein verordneten AusgehbeschrĂ€nkungen
halten, die unabhÀngig von einer eigenen Erkrankung gelten. Hier wird
ebenfalls gegen positiviertes Recht verstoĂen, dessen Schutzzweck in der
EindÀmmung des Ansteckungsrisikos mit COVID-19 besteht. Wenn es al-
so gelingt, einen Kausalzusammenhang zwischen einer Infektion und
einem konkreten Verursacher, der die AusgangsbeschrÀnkungen verletzt
hat, herzustellen, was mitunter schwierig ist, liegt es nahe, das Verhalten
unter den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte zu subsumieren.
FĂŒr die vorsĂ€tzliche GefĂ€hrdung mit ĂŒbertragbaren Krankheiten (§178
StGB) muss sich der Vorsatz lediglich auf die Eignung des Verhaltens bezie-
hen, die Gefahr der Verbreitung einer ĂŒbertragbaren Krankheit unter Men-
13 Siehe zu den GrundzĂŒgen der FahrlĂ€ssigkeit mit Nachweisen zum Meinungs-
stand etwa Burgstaller/SchĂŒtz in WK2 StGB §6 Rz 33ff und 42ff.
14 Zu dieser Untergrenze des Vorsatzes siehe mit Nachweisen zum Meinungsstand
etwa Reindl-Krauskopf in WK2 StGB §5 Rz 34ff.
Die VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit der Covid-19-MaĂnahmen aus strafrechtlicher Sicht
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, MenschenwĂŒrde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik