Page - 220 - in Das Schloss
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einmischte und sogar andere Glocken zu arbeiten begannen, jetzt nicht mehr
aus Not, sondern nur zum Spiel und im ĂśberfluĂź der Freude. K. war, weil ihm
viel daran lag, seine Schuld genau zu verstehen, sehr damit einverstanden,
daß ihn der Wirt unter den Arm nahm und mit ihm aus diesem Lärm fortging,
der sich immerfort noch steigerte, denn hinter ihnen – K. drehte sich gar nicht
um, weil der Wirt und noch mehr, von der anderen Seite her, die Wirtin auf
ihn einredeten – öffneten sich nun die Türen ganz, der Gang belebte sich, ein
Verkehr schien sich dort zu entwickeln, wie in einem lebhaften, engen
Gäßchen, die Türen vor ihnen warteten offenbar ungeduldig darauf, daß K.
endlich vorüber komme, damit sie die Herren entlassen könnten, und in das
alles hinein läuteten, immer wieder angeschlagen, die Glocken, wie um einen
Sieg zu feiern. Nun endlich – sie waren schon wieder in dem stillen, weißen
Hof, wo einige Schlitten warteten – erfuhr K. allmählich, worum es sich
handelte. Weder der Wirt noch die Wirtin konnten begreifen, daĂź K. etwas
Derartiges zu tun hatte wagen können. »Aber was hatte er denn getan?«
Immer wieder fragte es K., konnte es aber lange nicht erfragen, weil die
Schuld den beiden allzu selbstverständlich war und sie daher an seinen guten
Glauben nicht im entferntesten dachten. Nur sehr langsam erkannte K. alles.
Er war zu Unrecht in dem Gang gewesen, ihm war im allgemeinen höchstens,
und dies nur gnadenweise und gegen jeden Widerruf, der Ausschank
zugänglich. War er von einem Herrn vorgeladen, mußte er natürlich am Ort
der Vorladung erscheinen, sich aber immer dessen bewußt bleiben – er hatte
doch wohl wenigstens den ĂĽblichen Menschenverstand? -, daĂź er irgendwo
war, wo er eigentlich nicht hingehörte, wohin ihn nur ein Herr, höchst
widerwillig, nur, weil es eine amtliche Angelegenheit verlangte und
entschuldigte, gerufen hatte. Er hatte daher schnell zu erscheinen, sich dem
Verhör zu unterziehen, dann aber womöglich noch schneller zu verschwinden.
Hatte er denn dort auf dem Gang gar nicht das GefĂĽhl der schweren
Ungehörigkeit gehabt? Aber wenn er es gehabt hätte, wie hätte er sich dort
herumtreiben können wie ein Tier auf der Weide? Sei er nicht zu einem
Nachtverhör vorgeladen gewesen, und wisse er nicht, warum die
Nachtverhöre eingeführt sind? Die Nachtverhöre – und hier bekam K. eine
neue Erklärung ihres Sinnes – hätten doch nur den Zweck, Parteien, deren
Anblick den Herren bei Tag unerträglich wäre, abzuhören, schnell, in der
Nacht, bei künstlichem Licht, mit der Möglichkeit, gleich nach dem Verhör
alle Häßlichkeit im Schlaf zu vergessen. Das Benehmen K.s aber habe aller
VorsichtsmaĂźregeln gespottet. Selbst Gespenster verschwinden gegen
Morgen, aber K. sei dort geblieben, die Hände in den Taschen, so, als erwarte
er, daĂź, da er sich nicht entfernte, der ganze Gang mit allen Zimmern und
Herren sich entfernen werde. Und dies wäre auch – dessen könne er auch
sicher sein – ganz gewiß geschehen, wenn es nur irgendwie möglich wäre,
denn das ZartgefĂĽhl der Herren sei grenzenlos. Keiner werde K. etwa
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik