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24 | Ständestaat und Rotes Wien
ges positiv auf den Wohnungsbestand in Wien auswirkte. Die kriegswirtschaftliche Not-
maßnahme des Mieterschutzes35 kurbelte vorerst den Niedergang des privaten Wohnungs-
baus an.36 Erst 1922 konnte der Mieterschutz in abgeschwächter Form als Mietengesetz vom
1. Mai 1922 gesetzlich fixiert werden.37
Anfangs versuchte der provisorische Gemeinderat unter sozialdemokratischer Mitwir-
kung die Stützung des privaten Wohnungsmarktes. Ein erstes Wohnbauprogramm vom
19. Februar 1919 scheiterte aber an der Bereitstellung finanzieller Mittel. 1921 präferierten
die SozialdemokratInnen noch die Lösung der Wohnungsbaufrage mit Bundesmitteln. Unter
diesem Eindruck arbeiteten sie intensiv an der Schaffung des Bundes-, Wohn- und Siedlungs-
fonds (BWSF) mit. Damit sollten vor allem gemeinnützige und private Bauprojekte unter-
stützt werden. Ein eigener Wohnungs- und Siedlungsfonds der Bundeshauptstadt Wien wurde
am 29. April 1921 gegründet. Zweckgebundene Mittel sollten dabei den Wohnbau weit-
gehend wiederbeleben. Durch die Übernahme der Aufgabe des Wohnungsbaus in kom-
munale Verantwortung konnten langfristig Instrumente geschaffen werden, die ein inten-
sives Wohnbauprogramm ermöglichten.38
Erst mit einer Trennung Wiens vom christlichsozial dominierten Niederösterreich,39
mit dem es eine politische und wirtschaftliche Einheit bildete, wurde eine gezielte sozial-
demokratische Wohnbaupolitik möglich.40 Wien wurde am 1. Januar 1922 unabhängiges
Bundesland und errang damit Gesetzgebungskompetenz, das Recht auf Erlass von Aus-
führungsbestimmungen von Bundesgesetzen, das Recht auf Anteile aus Bundessteuern
und als wichtigstes Instrument eine eigene Finanzhoheit mit dem Recht auf Landesein-
nahmen.41 Dadurch konnte neben dem Mieterschutz eine zweite wichtige Säule des kom-
munalen Wohnbauprogramms entstehen. Am 20. Januar 1923 wurde im Gemeinderat
eine progressive Wohnbausteuer beschlossen.42 Diese zweckgebundene Steuer, die Hugo
Breitner mit Robert Danneberg entwickelte, war Teil einer radikalen Steuerreform mit
der eine sozialere Umverteilung durch höchst progressiv gestaltete Steuern angestrebt
wurde. Somit zahlten nicht mehr alle WohnungsmieterInnen den gleichen Betrag, sondern
35 Wichtigste Eckpunkte waren die Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten durch die VermieterInnen, das Niedrig-
halten der Mieten zugunsten der Mietparteien und das Verbot von sogenannten Wohnungsablösen. Der Mieterschutz
wurde 1917 zur Befriedung des Hinterlandes eingeführt, da eklatante Preissteigerungen der Mieten erwartet wurden.
Diese resultierten aus einem erhöhten Wohnungsbedarf durch heimkehrende Soldaten, der einer Stagnation des Woh-
nungsangebotes gegenüberstand.
36 Bauböck, Wohnungspolitik, 1979, S. 26–32.
37 Weihsmann, Das Rote Wien, 2002, S. 33.
38 Bauböck, Wohnungspolitik, 1979, S. 117–124.
39 Die Struktur der österreichschen Verwaltung besteht aus einer zentralistischen und einer föderalen Komponente. Ers-
tere stellt die Bundesebene mit Bundespräsident, Bundesregierung und Nationalrat. Zweite besteht aus einem gemein-
samen Bundesrat der 9 Bundesländer. Diese besitzen eigene legislative und finanzhoheitliche Kompetenzen.
40 Alfred Georg Frei, Die Arbeiterbewegung und die „Graswurzel“ am Beispiel der Wiener Wohnungspolitik 1919–1934,
Wien, 1991, S. 81.
41 Zimmerl, Kübeldörfer, 2002, S. 61.
42 Weihsmann, Das Rote Wien, 2002, S. 33.
Open Access © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Wien Köln Weimar
Das Schwarze Wien
Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Title
- Das Schwarze Wien
- Subtitle
- Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Author
- Andreas Suttner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20292-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 296
- Categories
- Geschichte Nach 1918