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128 | Wien im Ständestaat
2 3 Siedlungsbau im Ständestaat
2 3 1 Stadtrandsiedlungsbau
2.3.1.1 Selbsthilfe vs. Ausbeutung – Konzepte der ständestaatlichen Stadtrandsiedlungen
Das Österreichische Kuratorium für Wirtschaftlichkeit (ÖKW)500 beschäftigte sich im Zuge der
Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre mit der Auswertung von Siedlungskonzepten zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dabei wurden internationale Beispiele501 mit den gesetz-
lichen Grundlagen des Siedlungsbaus in Österreich verglichen.502 Gerade der ab 1931 in
Deutschland mit erheblichen finanziellen Mitteln begonnene Stadtrandsiedlungsbau wurde
in Österreich genauestens beobachtet und ausgewertet. Durch eine Adaptierung erhoffte
sich vor allem der österreichische Bausektor staatliche Förderungen in hohem Ausmaß
und unterstützte die Siedlungspläne weitgehend.503 Einziger, dafür aber vehementester
Gegner der Stadtrandsiedlung waren die österreichischen Bausparkassen, die einen Rück-
gang ihrer Mitgliederzahlen durch billige Förderungen des Bundes befürchteten.504
Die Wirtschaftskrise konnte so von konservativen Kreisen dazu genutzt werden, eine
ideologische Reagrarisierung505 durch die sogenannte Innenkolonisation, die Erschließung
des Staatsgebietes durch Siedlungsbau, einzuleiten. Es verwundert daher nicht, dass inter-
nationale Beispiele der Selbsthilfe, vor allem der wilden Siedlungen am Rand der Städte des
nationalsozialistischen Deutschland, als durchaus verwertbare Modelle bezeichnet wurden.506
500 Der illegale Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart leitete 1933 im Österreichischen Kuratorium für Wirtschaftlichkeit
das Aktionskomitee des Arbeitsausschusses Innenkolonisation. Er war zudem Obmannstellvertreter des Arbeitsaus-
schusses, der sich mit der Behandlung aller Fragen des österreichischen Siedlungswesens auseinandersetzte, Öster-
reichisches Kuratorium für Wirtschaftlichkeit (Hg.), Der Aufbau des Österreichischen Siedelungswerkes – Bericht des
ÖKW-Arbeitsausschusses „Innenkolonisation“, Wien, 1933, S. 14 f.
501 Deutschland, Bulgarien, Dänemark, Estland, Italien, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Schweden, Tschechoslowakische
Republik, Ungarn, vgl.: Ebd., S. 102–144.
502 Ebd., S. 23–27.
503 Hoffmann, Entproletarisierung, in: Botz, Hautmann, Konrad, Weidenholzer (Hg.), Bewegung und Klasse, 1978, S. 721–
723.
504 Ebd., S. 734.
505 In der Nebenerwerbssiedlung wurden, wie der Name schon sagt, die ArbeiterInnen dem Arbeitsmarkt erhalten. Es kam
nicht zur propagierten Reagrarisierung. Dass es sich bei dem Schlagwort nur um eine ideologische Verzerrung der rea-
len Politik handelt, zeigt Klaus Novy in seinem Aufsatz von 1981 anhand von Finanzierungs- und Eigentumsstrategien.
Die konservativen Kreise bevorzugten eine Finanzierung durch Bausparen und damit durch aufgewendetes Eigenka-
pital. Dies sollte in einer Übernahme des gebauten Hauses als vererbbares Eigentum münden. Das sozialistisch-ge-
nossenschaftliche Siedlungskonzept vor 1934 betrachtete das Haus als Genossenschaftseigentum. Somit wurde die
Frage der bevorzugten Finanzierung auf dem Feld der populistischen Ideologisierung und dem Kampf um WählerInnen-
stimmen einer riesigen SiedlerInnenbewegung ausgetragen, vgl.: Klaus Novy, Selbsthilfe als Reformbewegung – Der
Kampf der Wiener Siedler nach dem 1. Weltkrieg, in: Elke Krasny (Hg.), Hands-on Urbanism 1850–2012 – Vom Recht
auf Grün, Wien, 2012, S. 131–136, 153.
506 Das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit attestierte 1931 den Selbsthilfeprojekten ebenfalls ein positives Zeugnis,
vgl.: Ebd., S. 19.
Open Access © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Wien Köln Weimar
Das Schwarze Wien
Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Title
- Das Schwarze Wien
- Subtitle
- Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Author
- Andreas Suttner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20292-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 296
- Categories
- Geschichte Nach 1918