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178 | Wien im Ständestaat
Der evangelische Kirchenbau war vor allem durch den Protestanten Siegfried Theiss
und den Katholiken Hans Jaksch beeinflusst.764 Der Einfluss von Clemens Holzmeisters
Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche war schon an deren Entwurfes der Kirche H. B.765 in der
Schweglerstraße 39 Wien XV zutage getreten. Die Kirche wurde in Anlehnung an die der
evangelischen Konfession während des Ständestaates vermehrt beitretenden Arbeiterschaft
nach außen hin einfach gehalten und harmonisch ins Stadtbild eingepasst.766 Die Entwürfe
der Zwischenkriegszeit versuchten den evangelischen Kirchenbau vom klassischen Sak-
ralbau zu lösen. Im Mittelpunkt stand die Ausrichtung des Gemeindezentrums.767
Für eine Baulücke am Sebastianplatz 4 im III. Bezirk wurde 1937 ein Wettbewerb für
eine Kirche initiiert, bei dem Siegfried Theiss und sein Sohn Werner Theiss mitplanten.768
Sie gewannen den Ideen-Wettbewerb der evangelischen Gemeinde A. B. Wien zur Erlangung
von Entwürfen für die Erbauung einer Kirche und eines Amts- und Wohngebäudes in Wien III.
Grundlage des Planes war eine weithin als sakral erkennbare Baulückenverbauung durch
einen Turmbau.769 Ein zweiter Entwurf der beiden, der in einem folgenden engeren Wett-
bewerb getätigt wurde, ließ die Fassade des Gebäudes klarer als Sakralbau hervortreten.
Neben der klareren Gliederung in einen Turmbau und ein Wohnhaus wurde die fast
quadratische Fassade der eigentlichen Kirche mit einem riesigen Rundfenster versehen.
Das Presbyterium entschied sich aber für den stilistisch sakraler gehaltenen Entwurf Otto
Hofmanns, der aber nicht mehr zur Ausführung kam.770
2.4.2.2 Katholische Notkirchen, Kapellen, Klöster und Wohnbau
Die Idee der Notkirche, eigens für arme Gemeinden konzipiert, fand ebenfalls ihren Platz
in der architektonischen Ausgestaltung neuer Kirchenbaukunst. Dabei wurde besonders
auf die Adaptierung von schon vorhandenen Bauwerken zu einer liturgischen Verwendung
geachtet.771 Die städtebaulich einfach gehaltenen Notkirchen wurden vor allem in größe-
ren Wohnhausanlagen des Roten Wien am Stadtrand772 installiert. Sie dienten als ideolo-
gisches Mittel, um die breite Masse der Einwohner zur Neubelebung religiöser Praktiken
anzuhalten. Finanziert wurde der Notkirchenbau in Wien ab 1931 hauptsächlich von
Caritas-Direktor Josef Gorbach aus den Erträgen seines katholischen Zweigroschenblattes
764 Grabner, Kirchenbauten und Kirchenentwürfe, 2002, Diplomarbeit, S. 1.
765 Die reformierte Kirche nach dem Helvetischen Bekenntnis H. B. und die lutherische Kirche nach dem Augsburgischen
Bekenntnis A. B. sind die beiden großen evangelischen Kirchen in Österreich.
766 Grabner, Kirchenbauten und Kirchenentwürfe, 2002, Diplomarbeit, S. 64–68.
767 Ebd., S. 80.
768 Ebd., S. 64.
769 Ebd., S. 73 f.
770 Ebd., S. 76–78.
771 Parsch, Kramreiter, Kirchenkunst, 1939, S. 161 f.
772 Schon 1929 beanstandete Prälat Jakob Fried das Fehlen von 95 Kirchen im Wiener Stadtgebiet. Gerade die von ihm
empfohlenen Standorte kamen, durch seine Nähe zu Notkirchenbauvereinen, in den folgenden Jahren oftmals zur Aus-
führung, vgl.: Feller, Baupolitik, 1991, Diplomarbeit, S. 99
Open Access © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Wien Köln Weimar
Das Schwarze Wien
Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Title
- Das Schwarze Wien
- Subtitle
- Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Author
- Andreas Suttner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20292-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 296
- Categories
- Geschichte Nach 1918